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Achtsamkeit

Achtsamkeit

FreiSein für den gegenwärtigen Augenblick

 

Es ist knapp zehn Jahre her, dass der „Achtsamkeitsboom“ in Österreich angekommen schien. Initiativen entstanden an vielen Ecken und Ende unserer Gesellschaft – und verblühten innerhalb weniger Jahre. So heißt es etwa auf der Website einer damals entstandenen Plattform namens „Urban Care“1 „Nach sieben Jahren verabschiedet sich Urban Care. Die Herausforderungen und Zumutungen unserer Gegenwart sind in den letzten Jahren nicht weniger geworden. Achtsamkeit ist nach wie vor ein guter und erfolgversprechender Weg, um über sich, das Verhältnis zu anderen und jenes zur Welt zu reflektieren … Das Thema ist angekommen.“ Verwiesen wird in Links auf die Universitäten in Wien und Zürich sowie auf die Verbände für Achtsamkeit und Mindfulness in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Wenn man diesen folgt, kommt man zu durchaus interessanten Beiträgen, die allesamt den wissenschaftlichen Beweis der Wirksamkeit von „Mindfulness“ in verschiedensten Lebensbereichen antreten. So leitet der Erziehungswissenschafter Dr. Karlheinz Valtl in seinen Ausführungen zur „Pädagogik der Achtsamkeit“2 aus dem Jahr 2018 wie folgt ein: „Achtsamkeit (mindfulness) ist ein gegenwärtig stark wachsender, internationaler und interdisziplinärer Forschungsbereich, an dem v. a. Medizin, Psychologie, Neurowissenschaft und Pädagogik beteiligt sind.“ Weiters verweist er auf Jon Kabat-Zinn, der 1979 die Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR) am Krankenhaus der University of Massachusetts als Begleittherapie für Schmerz- und Krebspatienten einführte. Dabei werden in wöchentlichen Treffen Achtsamkeitsübungen (wie Atemmeditation, Körperwahrnehmungsübungen und Yoga) eingeübt und besprochen. Kabat-Zinn gilt neben dem Benediktinermönch DavidSteindl-Rast im Westen als einer der Achtsamkeitslehrer.

Waren all diese Initiativen also doch nur ein Modetrend oder sind sie nach wie vor ein Beitrag zu einem not-wendenden Lebensstil?

Um die Grundlagen der Achtsamkeitspraxis zu entdecken, muss man noch weiter zurückgehen. Der Buddhismus hat die Achtsamkeitslehre in seiner Religion verankert. Auf dem „Edlen Achtfachen Pfad“ bildet er den siebten Teil.  Die rechte Achtsamkeit, auch Vipassana genannt, soll durch Meditation erreicht werden. Dabei geht es um das Erreichen der Akzeptanz der „drei Daseinsmerkmale“ Unbeständigkeit, Leidhaftigkeit und Nicht-Selbst. Achtsamkeit bezieht sich im Buddhismus auf den Körper, die Gefühle und Empfindungen sowie den Geist. In der Meditation versucht man eine Beobachterperspektive einzunehmen und alles neugierig zu betrachten, ohne Kategorisierungen oder Bewertungen vorzunehmen. Eine Herausforderung – nicht nur für Buddhisten.

Auch im Christentum und anderen religiösen und spirituellen Richtungen existieren „Methoden“, die einen zurück in den Augenblick bringen. Dabei gibt es durchaus eine Vielfalt an Möglichkeiten, um diesen Zustand der Gegenwärtigkeit zu erreichen, von Sitzmeditation, über Kontemplation bis hin zur bewussten Wahrnehmung von Bewegung und alltäglichem Tun.

Ihnen gemeinsam ist das Sehnen des Menschen nach Ruhe und Stille in einer sich gefühlt immer schneller drehenden Welt. Aber lässt sich dieser so gewünschte Zustand überhaupt erreichen und wenn möglich sogar dauerhaft?

Als Wesen, dessen Gehirn aufgrund seiner Evolution die Fähigkeit des Nach- und Vordenkens sowie der Reflektion erreicht hat, ist der Bezug zum gegenwärtigen Moment verschwindend gering. Eine Flut von Gedanken schwirrt ständig durch unseren Kopf und beschäftigt uns unablässig, häufig auch nachts und besonders sogar in Entspannungsphasen. Oft heißt es, man müsse zuerst einmal runterkommen, um tatsächlich zur Erholung zu kommen.  Damit ist ein Zustand gemeint, in dem man nicht mehr an seinen Gedanken hängt, sondern frei wird für das, was gerade ist.

In unserer hektischen und von persönlichen sowie globalen Krisen geprägten Zeit liegt es daher nahe, sich mit Achtsamkeit als eine Möglichkeit zur Stressreduktion und als einen Beitrag zur ganzheitlichen Gesundheit zu beschäftigen. Dementsprechend vielfältig ist das Angebot an Büchern, Kursen und Seminaren sowie psychischen „Fitnessstudios“.

Sie alle haben einen entscheidenden Haken: den Transfer des Erfahrenen in den Alltag. Diese Herausforderung gilt es zu meistern. Dann – und nur dann – wird es gelingen, dem Augenblick jene Bedeutung zu geben, die ihm zusteht und dauerhaft physisch, psychisch und geistig von der Achtsamkeitspraxis zu profitieren.

Daher lohnt es sich – bevor man ein teures oder sogar überteuertes Angebot nutzt –, einfach mal einen Selbstversuch zu starten.

Eine der einfachsten Möglichkeiten ist das bewusste Ausatmen, so tief wie möglich, so lange, bis der Einatemreflex anspringt. Anschließen kann man dann auch die weitere Beobachtung des Atmens und des Atems, in dem man ihm mit seiner ganzen Aufmerksamkeit folgt: vom Einströmen über die Nase und den Zwerchfell-Bauch-Bereich sowie die Lunge und zurück bis zum Ausströmen über Nase oder Mund. Diese gerne auch „Durchatmen“ genannte Praxis, ist bei regelmäßiger Anwendung enorm effektiv und kostet kaum Zeit.

Helfen könnte ebenso das im Volksmund so genannte „Ins-Narrenkastel-Schauen“, jener absichtslose unfokussierte Blick in die Ferne, der auch im Tai Chi bzw. Qi Gong eine wichtige Rolle spielt. Dabei steht plötzlich alles still, selbst die Gedanken und Tagträume werden nicht festgehalten, sondern dürfen einfach unbeachtet weiterziehen wie die Wolken am Himmel.

Und auch ein „Einfach-bei-der-Sache-Sein“ ließe sich im Alltag mit ein bisschen Anstrengung gut integrieren. Dazu ist es wichtig, dem seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken, was gerade getan wird. Leicht fällt es mitunter, wenn man von einer Sache ganz eingenommen und fasziniert ist. Wobei da oft ein großer Energieaufwand entsteht und daher Entspannung und Stressreduktion kaum eintreten können. Es entsteht eher eine – im Idealfall angenehme – Müdigkeit und Zufriedenheit. Ungeliebte Routinetätigkeiten eignen sich da meistens wesentlich besser, sei es das Geschirrabwaschen bzw. das Einräumen des Geschirrspülers, das Gehen von einem Ort zum anderen oder alles, was mit Haus- bzw. Wohnungsputz zu tun hat.

Aufbauend auf diesen Basics lässt sich die Achtsamkeitspraxis dann ausweiten und in viele Lebensbereiche einziehen, auch in jene, die uns bislang Energie raubten. Aber das ist eine Erfahrung, die jeder, der sich ernsthaft auf den Weg zum „Sein im Augenblick“ macht, nach und nach selbst und im individuellen Tempo entdecken wird.

Sicher scheint auch, dass eine Welt der Achtsamkeit und der Achtsamen auch abseits von Religion und Spiritualität eine völlig andere Wirklichkeit zu schaffen im Stande ist, für sich selbst und letztlich für alle.

 

Literatur zum Thema:

Ursua Baatz, Achtsamkeit – Der Boom Hintergründe. Perspektiven, Praktiken

Jon Kabat-Zinn, Achtsamkeit für Anfänger

Thich Nath Hanh, Achtsamkeit mit Kindern

David Steindl-Rast, Die Achtsamkeit des Herzens

1 https://www.urbancare.at/impressum/ abgerufen am 8.3.23

2 https://achtsamkeit.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/p_achtsamkeit/Schule_im_Aufbruch_Publikation_3_Valtl_12_06_18.pdf

 

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