FreiSein durch Lachen
Die Ereignisse, die in dieser Sciencefiction-Geschichte geschildert werden, spielen in einer fernen Galaxie, Millionen Lichtjahre von unserer wunderschönen Erde entfernt, auf dem Planeten Hypokriton.
Der Planet Hypokriton war fest in der Hand der herrschenden Klasse der Glasperlenspieler und ihrer Organisationen. Ihre Macht beruhte auf dem Geldsystem und der künstlichen Intelligenz.
Das Geschäftsmodell der Glasperlenspieler von Hypokriton war einfach, aber gleichermaßen effizient wie effektiv: Sie verfügten über das Monopol der Geldschöpfung, indem sie Geld aus dem Nichts erschaffen konnten. Sie nannten es Fiat Geld („es werde Geld!).
Die Glasperlenspieler produzierten also Geld aus dem Nichts, welches sie dann an die Verwalter der Provinzen, an die Governatoren von Hypokriton, verliehen. Freilich musste das Luftgeld von den Bewohnern des Planeten Hypokriton zurückgezahlt werden.
Mehr als 99 % der Bewohner von Hypokriton gehörten dem Stande der Underlinge an. Die Underlinge besaßen NICHT das Recht, Geld aus dem Nichts zu schaffen. Die Underlinge besaßen nichts, aber sie waren verpflichtet, glücklich zu sein. Alles, was die Underlinge benutzen durften, war geliehen. Sie benutzten Leih- Geräte, Leih-Produkte und Leih-Dienstleistungen nach dem Prinzip, welches man „Von Der Leihen“ nannte, es war also alles geliehen, alles war „shared“.
Die Underlinge verfügten über seltsame Eigenschaften, die für Glasperlenspieler fremd und daher nutzlos waren: analytischen Verstand, Humor und Mitgefühl. Die empathiebefreiten, narzisstischen Glasperlenspieler verachteten die nutzlosen Esser, wie sie die Underlinge bezeichneten, dafür zutiefst. Bald zeigten die Glasperlenspieler ihre Verachtung für die Underlinge immer offener, indem sie nach und nach immer mehr inkompetente, verhaltensoriginelle, stotternde oder auch offensichtlich demente Universalgovernatoren einsetzten.
Die Glasperlenspieler hassten Empathie, aber die künstliche Intelligenz verehrten sie, ja sie vergötterten sie geradezu. Humor hingegen war den Herrschern suspekt und daher ebenso verhasst wie das Aussprechen von Wahrheiten. Denn um Humor zu verstehen, benötigte man natürliche Intelligenz, Kreativität und Empathie – aber die Glasperlenspieler besaßen keines dieser drei Fähigkeiten. Folglich war Humor auf dem Planeten des Heuchelns streng verboten und Verstöße gegen das strenge Humorverbot wurden mit Zwangskursen für betreutes Trampolinspringen in einer geschlossenen Anstalt bestraft.
Das oberste Gebot auf Hypokriton war Konformität und regelbasiertes Verhalten. Ein glückliches Leben war den Underlingen verpflichtend vorgeschrieben. „Du besitzt nichts und du musst glücklich sein“, war das oberste Mantra, das unablässig verkündetet wurde. Diese Regeln selbst durften jedoch nie hinterfragt werden.
Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Underlinge war ein wesentliches Element in der Gesellschaft Hypokritons. Die Worte und Begriffe, die ein Underling auf Hypokriton benutzen durfte, waren definiert und wurden laufend eingeschränkt. Bestimmte Worte und Themen durften nicht verwendet werden.
Wer verbotene Worte und eingeschränkte Themen verwendete, wurde mit einem Punkteabzug auf sein Hypokritonisches Sozialkonto bestraft. Jeder Underling besaß nur ein einziges Zentralkonto mit nur einem Zentralbudget aus digitalem Geld, welches von den Governatoren definiert, angepasst, zeitlich limitiert und permanent überwacht wurde. Was die Underlinge zum Leben auf Hypokriton benötigten, mussten sie mit dem Zentralkonto bezahlen. Alles war definiert, zeitlich und inhaltlich beschränkt und reglementiert. Weniger Sozialpunkte bedeuteten auf Hypokriton weniger Digitalgeld und weniger Produkte und Dienstleistung von dem Leihen.
Staatsreligion von Hypokriton war die kulthafte Sitte der Hypokrisis, also die unbedingte und permanente Verpflichtung zur Heuchelei, verbunden mit der Verachtung des eigenen Denkens. Die strengsten Vergehen auf Hypokriton waren das ergebnisoffene, analytische Querdenken, das selbstständige Aussprechen von Wahrheiten, ein konstruktiver Diskus oder das Leugnen hypokritischer Dogmen, zum Beispiel, dass die Wissenschaft abgeschlossen sei und wissenschaftliche Erkenntnisse ewig unverändert bleiben.
Die Kooperation zwischen den Governatoren und den Glasperlenspielern erfolgte durch das Geschäftsmodell der Öffentlich-privaten Partnerschaften. Diese ÖPP, wie sie in der Abkürzung auch genannt wurden, schufen immer mehr Quasi-Monopole, die von Universalgovernatoren an private Großkonzerne übertragen wurden und dann vom Staat vor der Konkurrenz von kleinen und mittleren Betrieben geschützt waren.
Das profitabelste Geschäftsmodell war jedoch mit Abstand das Kriegsführen. Kriege waren im wahrsten Sinne des Wortes ein „todsicheres“ Geschäft für die Glasperlenspieler in Hypokriton. Am Krieg verdienten die Glasperlenspieler gleich doppelt. Zunächst verdienten sie an der Zerstörung. Und dann ein weiteres Mal am Wiederaufbau, wobei es völlig egal war, welche Kriegspartei letztlich den Sieg davontrug. Denn die Kapitalsammelbecken der Glasperlenspieler waren an den Rüstungskonzernen aller Kriegsparteien beteiligt.
Während die Kriege noch tobten und hunderttausende Underlinge ihr Leben oder ihre Gesundheit verloren, hatten die Glasperlenspieler bereits Verträge über den Wiederaufbau und die Verteilung der Bodenschätze mit den kriegsführenden Governatoren beider Kriegsparteien abgeschlossen. Den Glasperlenspielern konnte der Krieg nicht lange genug dauern, verdienten sie doch gleichermaßen an der Zerstörung wie am Wiederaufbau.
Ein lukratives Geschäftsmodell auf Hypokriton war das Entwickeln von sogenannten „Besserungsinjektionen“ für die Underlinge, um sie an das Ideal der künstlichen Intelligenz anzupassen. In Hypokriton wurden immer mehr neue Injektionen mit gentechnisch veränderten Stoffen ausprobiert, eine Methode, die sie Pain of Junction nannten.
Aber dann passierte etwas Unerwartetes, etwas, das sich niemand hatte vorstellen können: Irgendein Forscher der Pain of Junction Forschung hatte versehentlich in die Impfung gegen die hochansteckende, tödliche Ameisenpest eine gefährliche gentechnisch veränderte Substanz eingebaut. Diese Gensequenz hatte katastrophale Folgen: Denn bei jenen Underlingen, die mit dem neu entwickelten genetischen Bestandteil gegen die Ameisenpest geimpft waren, lösten die Reden von Governatoren jedes Mal spontane und unkontrollierbare Lachanfälle aus. Die Ursache war eine Reaktion auf den Stimulus heuchlerischer Reden, der automatisch ablief und daher nicht kontrollierbar war.
Der Lachreflex war hoch ansteckend. Bald mussten alle Bewohner des Planeten bei Reden von Governatoren spontan laut und unkontrolliert lachen, sofern die Ansprachen heuchlerisch, irreführend waren oder unwahre Elemente beinhalteten. Jemand hatte die Idee, jeden Abend zum Sendetermin der Nachrichten die Fenster der Wohnungen zu öffnen und bald hörte man jeden Abend bei der Verkündigung das Nach-Richten das schallende Gelächter von tausenden Zuhörerinnen und Zuhörern in den Städten und Dörfern von Hypokriton.
Aber bald lachten die Underlinge nicht nur, sie begannen auch zu verstehen, WARUM sie lachen mussten. Die Impfung hatte nicht nur spontane Lachanfälle, sondern auch einen kognitiven Erkenntnisprozess ausgelöst. Um geheuchelte Reden und die zwangsläufig damit verbundenen Lachanfälle zu vermeiden, schalteten immer mehr Bewohner Hypokritons die kostenpflichtigen und zwangs-vorgeschriebenen Glotzovisionsgeräte ab. Nach und nach verzichteten sie auch darauf, auf ihre Glotzophone zu starren, was zur Folge hatte, dass sie Ihre Köpfe hoben und sich nicht mehr gebückt oder halb kriechend fortbewegten.
Immer mehr Underlinge von Hypokriton richteten sich auf. Dadurch konnten sie einander wieder wahrnehmen und sie blickten einander wieder in die Augen. Sie lächelten sich zu, sie grüßten sich und gingen höflich und respektvoll miteinander um. Kurzum: Die Lachenden waren keine Untertanen mehr. Durch das Lachen waren sie zu freien, selbstbestimmten Bürgerinnen und Bürgern Hypokritons geworden.
Die Lachenden hörten auf, die vorgeschriebenen Nullsummenspiele gegeneinander zu spielen. Für die Zusammenarbeit benötigen sie weder das Fiat Money der Glasperlenspieler noch das zugeteilte digitale Zentralgeld. Ihre eigene Währung wurde die gegenseitige Hilfeleistung und die konstruktive Zusammenarbeit. Niemand zahlte die Schulden, welche die Politiker bei den Glasperlenspielern aufgenommen hatten. Die Glasperlenspieler verloren ihre Macht und ihre Einkommensquelle. Sie verloren das Monopol, Geld aus dem Nichts zu schaffen.
So befreite die Lachkrankheit die Bewohner des Planeten Hypokriton von der Herrschaft der Glasperlenspieler. Der Druck, sein Leben nur mit dem Kampf um die wirtschaftliche Existenz zu verschwenden, war verschwunden. Die Bewohner von Hypokriton entwickelten ein neues, erweitertes Bewusstsein für ihr Leben. Sie hörten auf, sich gegeneinander aufhetzen zu lassen, sie beendeten alle Kriege, kämpften nicht mehr gegeneinander, sie lebten ein selbstbestimmtes Leben in konstruktiver Kooperation. Sie entwickelten innovative Produkte, die allen Bewohnern des Planeten nutzten. Sie errichteten einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat wie auf unserem wunderschönen Planeten Erde. Sie lebten in Frieden und sie ließen sich nie mehr spalten. Jeder Versuch, die Bevölkerung zu manipulieren oder zu spalten, hatte nichts als schallendes Gelächter zur Folge.
Ein neues Zeitalter der Freiheit und ein neues Bewusstsein war angebrochen auf dem Planeten Hypokriton. Ein Planet, auf dem viel gelacht wurde. Und dessen Bewohner ein selbstbestimmtes, freies und glückliches Leben führten.
Der Planet des Heuchelns war zum Planeten des Lachens geworden.
Dieser Text wurde von Walter Schönthaler verfasst und bei der Finissage der Ausstellung „Kunst für Assange“ am 19.7.24 gelesen.
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