Neoliberalismus – Kritik gefragt: Theaterstück „LINE RUNNER 2024 – Die Sicherheitsstrategie“

FreiSein durch kritische Kunst

 

Kritisches experimentelles Theater ist nichts Neues, das interdisziplinäre Theaterstück von Stephanie Grünberger ist es. Im Umfeld einer zunehmenden Verengung des Debattenraums, die auch vor der darstellenden Kunst keinen Halt macht, setzt ihre unkonventionelle Inszenierung „LINE RUNNER 2024 – Die Sicherheitsstrategie“ ein couragiertes Zeichen. Im Februar zu erleben in der Werkstatt der Kulturinitiative F23 sowie in der Verkaufshalle der Carla am Mittersteig.

Heute sind neoliberale Grundprinzipien nicht mehr nur Leitideen der Wirtschaftspolitik, sondern tief in das gesellschaftliche Gewebe eingedrungen. Der Markt, als ultimative „Instanz der Vernunft“ und „objektiver Schiedsrichter“, der das menschliche Handeln zu bestimmen legitimiert ist. Doch diese vermeintliche Neutralität entpuppt sich als verhängnisvoller Mythos und Ideologie, denn der Markt folgt den Interessen derjenigen, die ihn kontrollieren. Die Politik, einst als Werkzeug des Gemeinwohls konzipiert, degeneriert zur Marionette jener Mächte, die Reichtum und Einfluss in nie dagewesenem Ausmaß konzentrieren.

Voltaire sagte: „Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat.“ Aktueller denn je. Die Geschichte des modernen Neoliberalismus ist eine Erzählung von „Freiheit“ und „lohnendem Wettbewerb“ – aber unter der Oberfläche ist sie eine Chronik der Deregulierung, der Privilegien für Wenige und des systematischen Ausschlusses vieler. Internationale Konzerne und Finanzakteure haben sich in eine Position gebracht, demokratische Prozesse zu unterlaufen, um so ihre Macht durch digitale Überwachung, algorithmische Kontrolle und politische Einflussnahme auszuweiten. Ihre Entscheidungen, in keiner Weise demokratisch legitimiert, beeinflussen die Lebensrealitäten von Milliarden Menschen, ohne dass diese je gefragt wurden.

Die Folgen sind gravierend. Während die Vermögenskonzentration in den Händen einer winzigen globalen Elite in rasantem Tempo zunimmt – kaum 2 % des weltweiten Geldvermögens befinden sich in der Realwirtschaft, während über 98 % in Derivaten und spekulativen Finanzmärkten zirkulierten –, leidet die arbeitende Bevölkerung unter den Konsequenzen. Löhne werden höher besteuert als die Kapitalerträge und etablierte Medien verkaufen es als „Schutz der Wettbewerbsfähigkeit“. Ironisch erklären dieselben Kanäle, dass Vermögenssteuern „unpopulär“ seien, obwohl die Last der Besteuerung im erheblichen Maße auf den Schultern der Mittelschicht und der Geringverdiener ruht.

In den sogenannten „freien“ Märkten leiden kleine Unternehmen unter strikten Regulierungen, während internationale Steuervermeidungspraktiken für Vermögende legal sind und bleiben. Internationale Spekulationen destabilisieren Nahrungsmittelpreise und gefährden die Existenzgrundlage von Millionen, während in den Industrienationen soziale Sicherungssysteme erodieren und der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt.

Im gesellschaftlichen Klima wird Rücksichtslosigkeit belohnt. Streben nach individueller Karriere und Erfolg ist zunehmend entkoppelt von moralischen und sozialen Verpflichtungen. Korruption wächst nicht nur im Verborgenen, sondern wird als notwendiges unvermeidbares Übel rationalisiert. Kritische Medien, die diese Zustände anprangern, werden in öffentlichen Diskursräumen strategisch diskreditiert oder geraten in die Abhängigkeit derselben Mächte, die sie eigentlich hinterfragen sollten.

Mut, Achtsamkeit und Verantwortung werden gebraucht. Nicht die Angst vor Veränderung sollte uns antreiben, sondern die nüchterne Erkenntnis, dass die herrschenden Verhältnisse weder naturgegeben noch unveränderbar sind. Es ist an der Zeit, die vermeintlichen Gewissheiten der Gegenwart infrage zu stellen und den Weg zu einer Gesellschaft zu finden, in der Demokratie, Transparenz und Gerechtigkeit mehr sind als ständig wiederholte Rhetorik.

LINE RUNNER 2024 – Die Sicherheitsstrategie

Die Künstlerin und Autorin Stephanie Grünberger hat 2024 ein Theaterstück zu diesem Thema verfasst. Eine assoziative mediale Collage lässt einen dabei in die Reflexion des systematischen Zusammenspiels zweier emotionaler Gegenspieler eintauchen. Ein Labyrinth eines fiktiven totalitären Umfeldes wird zum Beobachtungsraum zweier Figuren: Des „Schreibtischtäters“ und des „Entkommenwollenden“. Beide orientiert an ihren emotionalen Leitlinien auf Kurs eines intuitiven Schicksals, der sie, im Wirbel der Perspektiven, einem vermeintlich ungewissen Ausgang entgegenspült.

Oppressionslust und Autonomiestreben verhallen ironisch in dystopischer Enge auswegloser Rückzugsorte. Musikalische Welten öffnen zusätzliche Gedankenebenen, ikonografische Visualisierungen bilden assoziative Brücken. Ein karg düsterer Schauplatz mit futuristischen Elementen – eine Facette als sanfte Hommage an Ridley Scott’s Film „Blade Runner“, der ebenfalls zum Titel des Stücks inspirierte.

Freiheit versus Überwachung, Rückzugsort versus Gefangenschaft – monologische „Inseln“ verschwimmen im Verlauf von 60 Minuten zu hitzigen Dialogen abseits politisch willfähriger Konventionen, formulieren Kritik an Neoliberalismus, Überwachungskapitalismus und Marktradikalismus, an Großkonzernen, Big Pharma und dem militärisch industriellen Komplex. Der „Schreibtischtäter“ ist dem „Entkommenwollenden“ immer einen Schritt voraus; im Tanz seiner opportunen Wiedergeburt – der Wachablöse – zustrebend.

Der Text ist von Peter Henisch’s Buch „Fluchtversuch“ inspiriert und hat somit auch nach diesem Vorbild das Thema Ich-Verlust im Fokus. Aus dem Prozess umfangreicher Recherchen hingegen, werden Zitate aus der aktuellen österreichischen und internationalen politischen Gesellschaft provokant zur karikativen Wahrnehmung entstellt.

Beide Hauptcharaktere werden durch den erfahrenen und mehrfach ausgezeichneten Schauspieler und Produzenten David Czifer verkörpert, der den Figuren vor dem Hintergrund der kritischen Bearbeitungen lustvolle Lebendigkeit verleiht.

Außergewöhnlich an der Inszenierung ist ebenfalls die besondere audiovisuelle Collage mit Musikstücken von Hannes Bleiziffer und Visuals des Medienkünstlers Marcus Victor. Sie
verflechtet das Bühnengeschehen mit atmosphärischer elektronischer Musik und visuellen Versatzstücken aus jüngerer und älterer Videokunst, generativer Bildgebung, Computerspiel, Filmgeschichte und internationalen Dokumentaraufnahmen.

Ein erfrischend beklemmender eigenwilliger Abgrund, den man auf einer Hängebrücke von Humor und lebendig starkem Schauspiel durchwandert.

 

Ein Text von Marcus Victor und Stephanie Grünberger (Verein STUTHE – Plattform zur Förderung junger darstellender Künste)

Mehr zu LINE RUNNER 2024 findest Du auf der Website des Vereins Stuthe.

 

Termine

8. Februar 2025
19.30 Uhr
im F23 | wir.fabriken.kultur
Gastgebgasse 4, 1230 Wien
www.f23.at
EINTRITT FREI! Zählkarte HIER

15. Februar 2025
18.30 Uhr
im carla Mittersteig
Mittersteig 10, 1050 Wien
www.carla-wien.at
EINTRITT FREI!

 

 

 

 

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