BeGEISTerung – eine not-wendende Tugend in Zeiten wie diesen

Begeisterung

FreiSein durch die Pflege der Begeisterungsfähigkeit

 

Ist Begeisterung überhaupt eine Tugend, also eine hervorragende Eigenschaft oder vorbildliche Haltung? Tatsächlich kommt sie in den klassischen Tugendlisten der Antike, des Christentums sowie der Bürgertugenden nicht vor, was verwunderlich ist, feiern die Christen doch alljährlich zu Pfingsten ein Hochfest des Enthusiasmus. In diesem Begriff versteckt sich auch das Wort „theos“, der griechische Begriff für Gott. Und um ein von Gott begeistert sein – also genauer gesagt: von Gott bzw. vom Geist erfüllt sein – geht es an diesem um den Montag verlängerten Wochenende. Man muss aber beileibe kein Christ sein, um die diesen Feiertagen innewohnende Kraft zu erfassen und für das eigene Leben fruchtbar zu machen.

Beginnen wir dennoch mit den biblischen Grundlagen dieses Festes. In den Schöpfungsmythen des „Buches der Bücher“ ist von der „ruah“, dem göttlichen Lebensatem, die Rede, die dem Menschen nach seiner Gestaltung eingehaucht wird und ihn damit belebt. Und in der Apostelgeschichte im „Neuen Testament“ wird von einem Ereignis erzählt, in dem die Schüler des Rabbi Jeshua von Nazareth anlässlich des jüdischen Erntedankfestes Shawuot, das 7 Wochen bzw. 50 Tage nach dem Pessachfest gefeiert wird (woher übrigens die Bezeichnung des christlichen Festes Pfingsten stammt, nämlich pente coste, am fünfzigsten Tag), zusammen kommen, um seiner zu gedenken. Er fehlt ihnen, und sie sind trotz zahlreicher in den Evangelien dargestellten Begegnungen mit ihm nach seinem gewaltsamen Tod immer noch unsicher, wie es weitergehen soll. Da werden sie plötzlich von einer gewaltigen Kraft erfasst, die Fridolin Stier in seiner Bibelübesetzung so beschreibt: „Und plötzlich kam aus dem Himmel ein Brausen – wie von einherfahrendem gewaltigem Schnaufen. Und es füllte das ganze Haus, darin sie saßen. Und sichtbar wurden ihnen – sich verteilend – Zungen wie Feuer. Und die setzten sich auf jeden von ihnen. Und voll heiligen Geistes wurden alle. Und ihre Zungen begannen anders zu reden – wie der Geist es ihnen kund gab.“

Nun lassen sich Beschreibungen wie diese vom aufgeklärten Menschen kaum verstehen. Die spirituelle Seite des Menschseins führt nicht selten ein stiefmütterliches Dasein. Wir wissen zwar von einer Seele, sehen diese aber nahezu nur als Psyche, die uns weder an unsere Herkunft vor unserer Geburt noch an unser Sein nach dem Tod anbindet. Von dieser Anbindung spricht auch der Begriff Religion, der von einer Seite seiner Herkunft betrachtet vom lateinischen Wort religere (zurück verbinden) stammt.
Wir wollen das so dargestellte Geschehen nun aber ganzheitlich betrachten und auch ins Profane hinein übertragen. Denn uns Erdenwesen ist ein Seelenzustand bekannt, der mit Hoffnung, Freude und Mut einhergeht und unser Denken und Fühlen in Zusammenhang, ja in Einklang bringt. Wir sind von etwas so eingenommen, dass wir alle Kraft der Welt haben, es auch umzusetzen; wir sehen für Augenblicke oder auch für einen längeren Zeitraum nur das eine, das uns bewegt, das uns beseelt; wir sind bereit, dafür durchs Feuer zu gehen, wir sind so beflügelt, dass uns kein Hindernis zu groß ist.

Die Seelenqualität der Begeisterung, die gerade in unseren heutigen Krisenzeiten eine dringende Notwendigkeit ist, weil sie in der Lage ist, unsere Not zu wenden, braucht aber Momente, in denen wir bereit sind, sie zuzulassen. Ihr zum Ausbruch verhelfen kann die Begegnung mit anderen Menschen in einer gemeinschaftlichen Zusammenkunft, aber auch ein Text, ein Buch, ein gehörtes Wort haben die Macht, unsere Seele zu erfassen und einen Sturm der Begeisterung auszulösen. In diesen Momenten wachsen wir über unser physisches und psychisches Dasein hinaus, wir transzendieren quasi unsere irdische Wirklichkeit und holen ein Stück vom Himmel auf die Erde. Denn an uns allein liegt es, ob wir unser Leben himmlisch oder wie eine Hölle gestalten – für uns selbst und alle anderen.

Visionen und sogar Utopien sind Motoren oder auch Folgen von Begeisterungsfähigkeit, einer Tugend, die nicht gegen etwas, sondern nur für etwas eingesetzt werden kann. Als Menschen stehen wir immer vor der Wahl, diese für das Gute oder das Schlechte einzusetzen, so gibt es beispielsweise die Möglichkeit für Krieg begeistert zu sein, ebenso aber jene, dem Frieden das Wort zu reden. Dystopien, von denen wir tagtäglich durch die Medien umgeben sind, für die wir eingenommen werden sollen, um als angstgetriebene Wesen denen zu folgen, die uns die Hölle auf Erden bereiten wollen, sind schwer abzuschütteln. An diesem Pfingstwochenende allerdings lohnt sich eine dahingehende Auszeit, um sich dessen bewusst zu werden, was einen eigentlich ausmacht: der uns eingehauchte Lebensatem.

Und tatsächlich kann die Konzentration auf diesen Atem, nämlich unseren Atem, ein erster Schritt aus dem Teufelskreis der ständigen Konfrontation mit einer düsteren, nicht wirklich erstrebenswerten Zukunft sein. Sowohl in der Meditation, als auch im so genannten Jesus-Gebet spielt dieser eine zentrale Rolle. Auch im Yoga oder beim Chi Gong bzw. Tai Chi ist die Atmung ein wesentlicher Faktor, um die Lebensenergie, das Prana, das Chi, in Bewegung oder ins Gleichgewicht zu bringen. Aber auch wenn wir körperliche Bewegung machen, egal ob wir etwa gehen, joggen, Rad fahren, wird unser Atem bewusst wahrnehmbar. In jedem Moment können wir uns als ersten Schritt auf dem Weg zur (Wieder-)Belebung der Begeisterung unserer Atmung widmen, sie einfach beobachten, dem Einatem und dem Ausatem folgen; sehrt hilfreich – vor allem in Angst- oder Stresssituationen – ist es, so lange auszuatmen, bis der Atemreflex ein automatisches Einatmen aktiviert. Dabei lassen sich auch Erinnerungen abrufen an jene Momente des Lebens, in denen wir Begeisterung empfunden haben – oder auch andere erlebt haben, die von der Begeisterung erfasst wurden. Diese Augenblicke sind bei näherer Betrachtung gar nicht so selten, wie man gemeinhin glaubt.

Die Perspektive dieses und aller weiteren Pfingstwochenenden gilt es zu erkennen. In der an diesen Tagen alljährlich wiederholten Belebung unserer Begeisterungsfähigkeit entsteht á la longue ein gut gefülltes Reservoir, das uns auch in dunklen Tagen zur Verfügung steht, um uns selbst und immer wieder auch andere, aus den schwarzen Löchern unserer Psyche zu befreien und dem Leben jene Qualität zu geben, die es erst so richtig lebenswert macht.

 

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