FreiSein für Julian Assange
Wie kann man etwas Gutes tun? Die deutsche Künstlerin Maren Kunst fand einen Weg. Sie wollte Julian Assange, dem Staatsfeind der USA, der wegen Wahrheitsveröffentlichung in einem Hochsicherheitsgefängnis in London eingesperrt ist, Mut machen und Kraft geben. So begann sie, ihm Briefe zu schreiben.
Als alles anfing mit Julian Assange, …
… war Maren noch nicht informiert über seine Tätigkeiten. Sie verfolgte nicht seine brisanten Veröffentlichungen, wie das Video Collateral Murder, in dem eine US-Kampfhubschrauberbesatzung mit Begeisterung Zivilisten erschießt, wofür hart bestraft wurde – nicht die schießwütigen Soldaten oder die vertuschenden Behörden –, sondern Julian Assange, der diese und weitere Informationen zu US-Kriegsverbrechen auf seiner Internet-Plattform WikiLeaks publizierte.
Maren bemerkte Julian Assange erstmals, als ihn die Britischen Behörden aus der Ecuadorianischen Botschaft holten, in der er sieben Jahre lang Schutz vor der US-Verfolgung und der, wie sich mehrfach zeigte, zurecht befürchteten ungerechten Rechtsprechung fand, bei der selbst die Todesstrafe nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Seitdem, mittlerweile seit fünf langen Jahren, verbringt Julian seine Tage in einer 6 qm-winzigen Zelle im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh – in dem Wissen, dass seine unmenschliche und menschenrechtsunwürdige Behandlung als abschreckendes Beispiel für wahrheitssuchende Nachahmungsjournalisten dienen soll.
„Was mich wirklich berührt hat, war der Moment, als ich in den Medien die britische Polizei sah, die ihn aus der Botschaft zerrte. Ich stand mit offenem Mund vor dem Fernseher, hatte innen und außen Gänsehaut, und ich dachte: Meine Güte, was passiert mit diesem Mann?“, erzählt Maren. Nach diesen medialen Bildern beschäftigte sie sich mit den Ereignissen, die zu dieser brisanten Entführung vor laufender Kamera geführt hatten.
„Mehr und mehr habe ich mich informiert über das, was er der Welt gegeben hat, wie wichtig seine Veröffentlichungen über grauenhafte Verbrechen waren. Die Verantwortlichen hätten eigentlich sagen müssen: ‚Wir haben Fehler gemacht. Es sind furchtbare Dinge geschehen, die wir aufarbeiten müssen.’ Genau das Gegenteil ist passiert. Ein Mann wurde zum Verbrecher dämonisiert, der Verbrechen nur aufgedeckt hat und selbst keiner Fliege etwas zuleide tut. Schau ihm in die Augen und finde irgendetwas Boshaftes, etwas Egoistisches in ihm. Mit seiner Form des Autismus ist er dazu gar nicht in der Lage. Er weiß, was richtig und falsch ist und das funktioniert tatsächlich wie in einem Computer mit 0 1 0 1 0 1. Man braucht ihm nur in die Augen zu schauen und weiß, wer dieser Mensch ist und wie viel Licht in ihm ist.“
Maren beschäftigte sich intensiv mit WikiLeaks und bemerkte bald, dass sie die dort veröffentlichten skandalösen Enthüllungen belasteten. „Ich dachte zuerst: Das ist furchtbar, das will ich gar nicht wissen. Und anderen Menschen geht es ebenso. Deshalb hat es funktioniert, die Gesellschaft davon abzuschotten. Doch es ist wichtig, dass solche Sachen auf den Tisch kommen, und ich bin Julian unglaublich dankbar. Er hat mich verändert, in dem er mir durch seine Veröffentlichungen die Möglichkeit gegeben hat, zu entscheiden: Will ich die Wahrheit oder will ich diese Matrix? Jeder hat diese Wahl.“
Selbst in der DDR aufgewachsen, …
… weiß Maren, was es heißt, unschuldig verfolgt zu werden. Ihre Familie hatte dort „immense Repressalien zu erleiden“, wie sie berichtet.
„Was haben wir daraus gelernt?“, fragt sie. „Wir haben nichts aus der Wiedervereinigung gelernt, nicht einmal aus dem Zweiten Weltkrieg. Hier im ehemaligen Osten Deutschlands haben wir uns nach über 30 Jahren von der Stasi noch gar nicht erholt und jetzt sehe ich wieder ganz starke Tendenzen in die Richtung, die wir schon einmal hier hatten – die komplette Überwachung, natürlich alles unter dem Aufhänger Demokratieschutz. Julian hatte mit allem recht, was er gesagt hat. Medien und Wissenschaft sind korrupt. In seiner Balkonrede 2012 in der Botschaft hat er gesagt: Wir müssen uns der Wahrheit stellen, sonst verstricken wir uns in einem Lügenkonstrukt und kommen nicht voran. Und heute müssen die Menschen wieder manipuliert werden, damit sie mitmachen, denn Kriege müssen her, damit das Geld wieder einen Wert erhält. Und diese Propaganda funktioniert zu einem gewissen Teil, obwohl – wie Julian gesagt hat – die Menschen überhaupt keinen Krieg wollen*. Doch wie können wir uns wandeln? Wie können wir etwas verändern? Erstmal müssen wir verstehen, was passiert, um zu begreifen, was verändert werden muss.“
Aber nicht nur die Medien und die Wissenschaft haben Maren enttäuscht. Auch Kunstschaffende hätten eine Verpflichtung: „Kunst sollte die Gesellschaft spiegeln, sollte reflektieren, in welcher Welt wir leben und wie wir miteinander umgehen. Man kann natürlich auch Blümchen malen, ich male auch Blümchen, aber ich sehe es auch als meine Pflicht als Künstlerin, die Gesellschaft auf die Leinwand zu bringen. Wer das nicht tut, nur weil er sich vor Repressalien fürchtet, der ist ein gut bezahlter Entertainer. Der spiegelt nur das wider, was gesagt werden darf und was die Obrigkeit gern sehen und hören möchte. Ich gehöre nicht dazu.“
Ein großes Problem ist die Unwissenheit der Menschen.
Maren nahm im Februar zu Julians Berufungsanhörung an einer Menschenkette von der amerikanischen zur englischen Botschaft in Berlin teil. Ein Bekannter äußerte sich dazu: „Wie kannst du nur? Der hat doch Staatsgeheimnisse ausgeplaudert!“ Maren entgegnete: „Wo fangen Staatsgeheimnisse an und wo hören sie auf? Menschen wurden wie in einem Computerspiel just for fun aus einem Hubschrauber abgeschossen. Das ist grauenvoll. Das sind keine Geheimnisse, das sind Verbrechen, und diese müssen aufgeklärt werden und dürfen nicht in irgendeinem CIA-Archiv verschwinden.“
Besonders erschreckend ist, dass junge Menschen oft überhaupt nichts über Julian wissen: „Bei der Menschenkette kamen drei Jugendliche, ein Mädchen und zwei Jungs so zwischen 15 und 17 Jahren, auf mich zu und fragten mich, wer Julian Assange sei. Sie hatten seinen Namen niemals zuvor gehört. Ich habe ihnen dann über Julian erzählt. Sie fanden das sehr interessant und konnten kaum glauben, dass so etwas passiert. Man hat alles versucht, Julian aus dieser Welt zu katapultieren – durch dieses Hochsicherheitsgefängnis, durch die schlimmen Anschuldigungen und die Diffamierung aus Schweden bis hin zu einer geplanten Entführung und den Mordplänen der CIA.“
„Daran sieht man“, fährt Maren fort, „dass er alles richtig gemacht hat. Nicht für sich selbst natürlich – mit diesen Konsequenzen, aber wie die Illustration aus meinem Buch zeigt: Er hat den USA echt in den Arsch gebissen. Diese Wunde eitert und eitert, und es fließt alles heraus. Ich bin davon überzeugt, dass Julian eine Schlüsselfigur in dem ist, was wir gerade erleben. An mir selbst kann ich sehen, wie sich meine Einstellung zu den Vereinigten Staaten und zur Weltpolitik geändert hat. Früher habe ich selbst daran geglaubt, an diese flatternde blauweißrote Fahne im Wind, im land of the free, wo alles schön ist. Dann kam so ein kleiner Julian Assange und deckte auf, dass es eben nicht so ist. Das hat damals eine sehr große Menschenmenge auf der ganzen Welt erreicht, was sie ihm nie verziehen haben, diese Offenbarung der Wahrheit.“
Maren wollte etwas für Julian tun, …
„… das ihm gut tut, das ihm wenigstens ein bisschen Freude schenkt“. Sie wollte dem tapferen Mann, diesem Einzelkämpfer, der diese große Nation gegen sich aufgebracht hat, unterstützen: „Ich möchte ihm Kraft geben, ihm Mut machen. Deshalb schreibe ich ihm schon seit 2019 Briefe ins Gefängnis, und vielleicht kommen auch welche aus Brasilien, aus Kolumbien, aus Russland oder sonst woher und er weiß, die Menschen sind für ihn da. Und es werden immer mehr.“
Maren kam dann auf die Idee, Julian ihre erste Kurzgeschichte „Eine kleine Allerweltsgeschichte“ zu übersetzen und zu schicken. Kurze Texte und kleine Episoden aufgeteilt auf mehrere Briefe seien besser als ein langer Brief, denn „er ist in unglaublicher psychischer Anspannung mit einem derartigen Druck in seinem Kopf, der ja auch zu diesem Schlaganfall geführt hat. Da bist du gar nicht in der Lage, Tolstoi oder Dostojewski zu lesen. Du liest einen Satz und weißt nicht mehr, was davor stand. Kleine Episoden kann man besser verarbeiten und dazu Bilder, weil ich meine Bücher selbst illustriere.“
So kam es, dass Maren ihm auch aus ihrem ersten Buch „Herr Hund & das Mädchen“, das sie Julian Assange gewidmet hat, episodenweisen Übersetzungen schickt. Darin geht es um einen kleinen Hund, der schwer verletzt ist und sich selbst durch den Heilungsprozess zur Gesundheit führt. „Es hat viele Akzente meiner eigenen Geschichte. Ich habe mich damals in diesem System physisch und psychisch krank gearbeitet, bis ich nicht mehr brauchbar war.
Julian hat mich verändert, hat so viel in meinem Leben bewirkt. Er hat mir gezeigt: ‚Sieh hin. Hab den Mut hinzusehen.’ Er hat mich dazu gebracht, die Wahrheit zuzulassen, über alles, auch über mich selbst. Dafür werde ich ihm mein ganzes Leben lang dankbar sein. Ich glaube, dass es die wichtigste Aufgabe jedes einzelnen Menschen ist, sich selbst zu überwinden. Es ist zugleich das schmerzvollste, was wir machen können. Wir können anderen Leuten immer sagen, was sie besser machen können, aber wir müssen bei uns selbst anfangen. Alles zuzulassen, alles zu akzeptieren ist der erste Schritt zur Heilung. Ich mache das seit Jahren so, denn das klassische Gesundheitswesen konnte mir nicht helfen, die Chemie und die gesamte Herangehensweise zum Thema Heilung und Gesundheit. Und auch Julian möchte ich mit meinen übersetzten Episoden und Briefen sagen: Du hast jedes Recht, dich so zu fühlen, wie du dich fühlst, aber gib niemals auf!“
Maren schreibt Briefe und schickt diese per Post. „Keine Postkarten“, weiß sie, da man befürchtet, dass die Insassen sich damit die Pulsadern aufschneiden könnten. „E-Mails kann man schicken, aber ich meine mich an einen Aufruf von seiner Frau Stella zu erinnern, dass E-Mails zur schnellen Korrespondenz mit der Familie dienen sollten, aber es ist natürlich auch eine Möglichkeit.“
Antwort hätte sie keine aus dem Belmarsh-Gefängnis erhalten. Das wäre nie der Zweck gewesen und sie hätte auch nie eine Adresse hinterlegt oder ein Rückporto beigefügt, auch weil sie viel umgezogen sei.
„Ich möchte ihm nur etwas Menschliches in diese komplett unmenschliche Atmosphäre, in der er sich befindet, schicken. Er hat bis jetzt irgendwie einen Weg gefunden, das alles durchzuhalten, und ich glaube, wir alle, die wir ihn unterstützen, haben dazu beigetragen. Auch all die Menschen, die vor dem Gefängnis immer wieder ‚Free Assange‘ rufen, und natürlich seine Familie – seine Frau und seine Kinder, die ihn besuchen, diese ganze Liebe, die ihm Energie gibt. Wir alle, auch du und deine Organisation und ich und all die anderen Menschen – wir tun das aus dem Herzen, aus Liebe. Seine großen Gegner können alles in Schutt und Asche legen, und das tun sie ja immer wieder auf diesem Planeten, aber sie können diese Liebe nicht vernichten. Sie ist präsent und sie erreicht ihn.“
Nicht nur die Texte, sondern auch die Einnahmen aus Marens Buch gehen an Assange, damit die Anwälte bezahlt werden können. „Dieser ganze Prozess verschlingt ja unglaubliche Summen. Ich spende für dieses Anwaltsteam, diese tapferen Menschen, die sich so für ihn einsetzen.“
Der Druck wächst, …
„… aber in diesem Gesellschaftssystem ist es einfach nicht möglich, Massen zu mobilisieren“, sagt Maren. „Wir sind alle gespalten, für alles gibt es einen Extremismus, du wirst gleich zugeordnet. Keiner traut sich mehr etwas, aber überall keimt es in den Menschen und der Druck wächst, und das ist die Hauptsache.“
Auch kleine Handlungen können große Wirkung haben. „Von der Menschenkette habe ich Aufkleber mitgenommen und einen auf meinen Briefkasten geklebt. Ein Nachbar hat mich danach gefragt und gesagt, er möchte auch so einen, denn das alles wäre eine Frechheit. Dann habe ich überall Aufkleber verteilt. Die Postfrau wird vermutlich zur Assange-Aktivistin werden, weil sie die ganze Straße entlang auf den Briefkästen die FreeAssange-Aufkleber sieht“, erzählt Maren schmunzelnd.
„Es gibt immer wieder irgendwo kleine Aktionen. Sie alle werden zu großen Aktionen – Menschenkette, Briefkästen und so weiter. Wichtig ist, dass wir es mit Liebe machen, mit Liebe und Verstand.“
So erkennen immer mehr Menschen das Unrecht, das mit Julian Assange geschieht: „Vielleicht haben sich diese drei Jugendlichen nach dem Gespräch mit mir noch genauer informiert, haben seine Fanseite angeklickt und unterstützen jetzt irgendeine Aktion. Auch, wenn sie nur auf einer Facebook-Seite einen Like für ihn geklickt haben, die Information geht von einer Person zu anderen. So funktioniert es, und es sind bereits sehr viele Menschen auf allen Kontinenten der Welt, die an ihn denken, die ihn lieben und wollen, dass er frei ist – von überall her sind Lichter auf ihn gerichtet und es funktioniert – er lebt.“
*„Mir ist klar geworden, dass praktisch jeder Krieg in den vergangenen 50 Jahren die Folge von Medienlügen war. Die Medien hätten die Kriege verhindern können, wenn sie nur intensiv genug recherchiert hätten; wenn sie nicht einfach Regierungspropaganda abgedruckt hätten, die sie hätten stoppen können. Aber was bedeutet das? Das heißt nichts anderes, als dass die Menschen eigentlich keine Kriege wollen, sondern dass die Bevölkerung in Kriege hinein manipuliert wurde. Die Menschen ziehen nicht bereitwillig offenen Auges in einen Krieg. Wenn die Medien also gute Arbeit leisten, können wir eine friedliche Welt errichten.“ (Zitat Julian Assange aus: WikiLeaks revelations only tip of iceberg – Assange. RT, 02.05.2011)
Maren Kunst über sich selbst: „Mensch will ich sein, nicht mehr und nicht weniger. Alles andere empfinde ich als konstruierte Schubladen, um irgendwen und irgendetwas zu definieren. Manch einem mag das helfen, um seinen Platz zu finden in der Welt. Ich habe mich unter Definitionen, also in diesen Schubladen, nie besonders wohl gefühlt, habe mich schnell gelangweilt und bin auch nie lange geblieben. Aber ‚Mensch‘, so als Institution und als eben das, was er ist – nur ein Mensch, das passt zu mir! Mensch ist dann der Schrank, in dem all die Schubladen von A bis Z oder von 0 bis unendlich eingeordnet sind. Da kann ich, wenn ich will, überall mal rein schnuppern. In vielen bin ich schon gewesen: Grufti, Studentin, Verliebte, Verschmähte, Dumme, Kluge, CouchPotato, Weitgereiste, Wahrheits-suchende, Demonstrantin, Opfer, Täter, Legasthenikerin, Fremdsprachenkorrespondentin, Medium, Borderlinerin, Kranke, Heilsame, Arme, Reiche, Kräuterkundige, Malerin, Schriftstellerin, Verliererin, Gewinnerin, Sternenguckerin … Ein Zitat von Julian Assange passt auch gut zu mir: Curious eyes never run dry.“
Marens Website: „Maren’s Kunst“