Möge Sisu mit dir sein

FreiSein für die Kraft der SelbstStärkung

 

„May the sisu be with you“ kann man auf T-Shirts lesen, die man auf der Website „Very Finnish Problems“ bestellen kann. Der Ursprung der Internetseite datiert aus dem Jahr 2016, als der in Helsinki lebende britische Autor Joel Willans das mittlerweile sehr erfolgreiche Social Media Label gründete, um eine Wette zu gewinnen. Neben diversen äußerst finnischen Merchandising-Produkten findet sich in zahlreichen Blogbeiträgen so manch Erhellendes über die finnische Kultur. Dazu gehört auch eine Kurzbeschreibung des Begriffs Sisu. Er steht für „Widerstandsfähigkeit, Entschlossenheit und ein wenig Sturheit. Dieses Ethos ist so tief in der finnischen Gesellschaft verwurzelt, dass es sich in allem widerspiegelt, was Finnen tun – von der Arbeit bis zum Sport.“

Tatsächlich ist es unmöglich, den Begriff mit einem Wort in eine andere Sprache zu übersetzen, obwohl die Wörterbücher es tatsächlich versuchen. „Zähigkeit, Ausdauer, Beharrlichkeit, Mut“ ist da im Kompendium des finnischen Verlags WSOY zu lesen. Das Wort lässt sich wahrlich aber nur umschreiben, Umschreibungen, die ganze Bücher füllen. Und: Man muss kein Finne sein, um diese Kraft entfalten zu können, es braucht – je nach kultureller Grundlage, in der man sozialisiert wurde – ein bisschen mehr oder weniger Anstrengung, um sich Sisu anzueignen.

Aber der Reihe nach.

Folgt man den sprachlichen Wurzeln des Wortes, so lässt sich ein Zusammenhang mit dem Wortstamm „sisä“ finden, der auf etwas Inneres hinweist. So bezeichnet „sisustus“ etwa die Inneneinrichtung einer Wohnung. Ursprünglich war Sisu negativ konnotiert, es bezeichnete schlechte Gemütseigenschaften, ja sogar Bosheit oder Hass. Auch Erbarmungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit wurden früher damit benannt, ehe sich die Bedeutung ins durchaus Positive wandelte. Die unangenehmen Eigenschaften werden heute mit dem Zusatz „paha“ (dt. schlecht) versehen. Und wenn man ein sisupussi (dt. Sisu-Sackerl) ist, dann hat man einerseits viel Energie und Temperament, kann aber andererseits durchaus auch ein „Zornbinkerl“ sein. Sisu hat sich im Lauf der Zeit nicht nur zu einem Modewort, sondern zu einer allen Finnen zugeschriebenen Charaktereigenschaft entwickelt. Getragen vom Trotzen gegen die Unbill der Natur, die im nordischen Land herrscht, also lange, kalte Winter, kurze, eher kühle Sommer sowie monatelange Dunkelheit, die der knappe Zeitraum, in dem „Mitternachtssonne“ herrscht, nicht wirklich ausgleichen kann, hat sich über die Jahre ein Marketingwerkzeug entwickelt, dass Finnisches in der Welt attraktiv machen soll.

Der Großteil der rund fünf Millionen Einwohner des Landes lebt mittlerweile in den beiden Ballungsräumen um Helsinki und Turku im Süden des Landes. Damit das Stadtleben, das die oben beschriebenen Unannehmlichkeiten mit zahlreichen, auch technischen Hilfsmitteln auszugleichen versucht, nicht zur Verweichlichung und damit zum Verlust von Sisu führt, nutzt der echte Finne die stärkende Wirkung von „avantouinti“ (dt. Eislochschwimmen) und Sauna, letztere auch im Sommer. Viele Finnen haben auch ihre Sommerhäuschen (mökki) mitten in der weitläufigen Natur, deren Einfachheit – oft ohne Strom und Fließwasser – sie nutzen, um vom Alltagsstress und den Verwöhnungen der Großstadt wieder auf den Boden zu kommen.

Beim Eisbad gibt es keine festen Regeln, man kann es mit Sauna kombinieren oder stand-alone nutzen, die Palette reicht dabei vom bloßen Nassspritzen über das sekundenlange Eintauchen in ein ins Eis geschlagenes Loch bis hin zu einer Runde in einer größeren eisfrei gemachten Wasserfläche im Meer oder in einem der zahlreichen Seen des Landes. Auch für die Saunagänge gilt Ähnliches. Hier darf jeder seinen individuellen Vorlieben folgen. Tabu ist aber eines: Das „Wacheln“ nach einem Aufguß gilt als No-Go. Auf diese körperliche Weise mit Sisu gestärkt, verändert sich auch das Innenleben des Menschen wie etwa die mittlerweile schon jahrelang in Helsinki lebende kanadische Journalistin Katja Pantzer in ihrer Ode „Finding Sisu – In search of courage, strength and happiness the Finnish way“ schreibt. Sie bezieht sich darin auch auf Erkenntnisse der Forscherin Emilia Lahti, die eine Studie zum Thema mit dem Titel „Embodied fortitude: An introduction to the Finnish construct of sisu“ (dt. Verkörperte Tapferkeit: Eine Einführung in das finnische Konzept des Sisu) erstellt hat.

Lahti kommt darin zu folgenden Schlüssen:
Demnach weist Sisu zwar „Überschneidungen mit psychologischen Qualitäten wie Mut, Ausdauer und Durchhaltevermögen auf“, bezieht sich aber auch auf „die Erschließung bisher unbekannter Energiereserven, die eher teilweise körperlich als rein mental sind“. Bestätigt werden in der Umfrage auch die beiden Seiten von Sisu, also einerseits die Fähigkeit zur „Überwindung von Grenzen in allen Bereichen des menschlichen Lebens, von der physischen bis zur emotionalen Ebene, und … die universelle Fähigkeit der Menschen, angesichts von Widrigkeiten durchzuhalten und im Bedarfsfall auch gegen fast unüberwindbare Hindernisse vorzugehen“, auf der anderen Seite aber auch „Sturheit, Abgehobenheit und andere potenziell schädliche Folgen … Sisu kann entweder selbstschädigend oder selbstfördernd sein.“ Für die Autorin der Studie war es wichtig, herauszufinden, was es ist, „dass unsere Lichter brennen und unsere Herzen in der dunklen Nacht der Seele hoffen lässt“, und wie „wir dieses Wissen am besten nutzen, um den Schmerz derjenigen zu lindern, die derzeit leiden.“ Pathetische Worte, die aber auch zeigen, dass es bei Sisu um eine urmenschliche Tugend geht, die nicht nur auf Finnen beschränkt ist, in Finnland aber offenbar anders als in vielen anderen Ländern der westlichen Welt seit jeher und auch heute noch Teil der Alltagskultur ist.

Daraus können wir durchaus lernen. Und möglicherweise ist Sisu auch der Grund, warum das Land im Norden trotz so mancher unwirtlicher Bedingungen schon seit geraumer Zeit im World Happiness Report als das „glücklichste Land der Welt“ gilt. Es kommt auf die persönliche Einstellung zum Leben und seinen Herausforderungen an, es kommt darauf an, Resilienz zu entwickeln und im Sinn von Viktor Frankl all dem, was einem im Dasein begegnet und zustößt, einen Sinn abzuringen. Denn dieser Lebenssinn ist ihm nach nicht per se gegeben, sondern erschließt sich immer wieder aufs Neue und will daher in jedem Schritt auf unserem Lebensweg gefunden werden.

Dass nicht alle Finnen das wahre, konstruktive, positive Sisu erkennen, zeigen Statistiken über Depressionen, Selbstmordrate, Alkohol- und Drogenmissbrauch. Hier hat die Gesellschaft im Sinne der abschließenden Worte von Emilia Lahtis Studie, nämlich das Wissen über Sisu am besten zu nutzen, „um den Schmerz derjenigen zu lindern, die derzeit leiden“ einen Auftrag, den sie anzunehmen bereit sein sollte.

 

Leserinnen und Leser, die in die Welt des finnischen Sisu eintauchen wollen, haben dazu zwischen 17.6. und 16.8.24 eine oder mehrere Wochen Zeit. Unser Redakteur Michael Karjalainen-Dräger bietet in Finnland „Sommerwochen zum SISU-SelbstEmpowerment“ an. Für die ZeitenWende-Community ist die Kursgebühr um 20 % ermäßigt.

 

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