Wahlfreiheit

Wahl, Wählen, Richtung

FreiSein für eine gute Wahlentscheidung

 

In etwas mehr als zwei Monaten, nämlich am 29. September, finden die nächsten Nationalratswahlen statt. In den fünf seit dem letzten gesamtösterreichischen Urnengang vergangenen Jahren ist politisch kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Das SARS-CoV 2-Virus, das die von den Wählern für das Wohl Österreichs verantwortlich gemachten Politiker knapp nach der letzten Regierungsbildung herausforderte, und die von diesen getroffenen Maßnahmen, die anfangs auch von allen Oppositionsparteien mitgetragen wurden, haben massive Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft gezeitigt. Man fand sich plötzlich gefühlt auf dem Weg in eine „Gesundheitsdiktatur“ wie sie die deutsche Schriftstellerin Juli Zeh schon viele Jahre vorher in ihrem Roman „Corpus Delicti“ angesprochen hat. Vom Umgang mit Situationen wie dieser war in Wahlprogrammen nichts zu lesen, und so wurde man gleich am Anfang einer neuen Legislaturperiode damit konfrontiert, wie Politiker im Ernstfall ticken und mit welcher Leichtigkeit Grund-, Freiheits- und Menschenrechte eingeschränkt oder sogar aufgehoben wurden. Das war im wahrsten Sinn des Wortes enttäuschend, weil so manche Täuschung, der man aufgesessen war, ans Tageslicht kam.

Nun, fünf Jahre später, ist es nach und mit diesen Erfahrungen möglich, eine neuerliche Wahlentscheidung zu treffen, die auch genutzt werden sollte. Bei den Wahlen der letzten Jahre gab es einen zunehmenden Trend zum Nichtwählen, diese Wählergruppe hatte mitunter sogar die relative Mehrheit, war allerdings nicht im Nationalrat repräsentiert und damit nicht einmal indirekt in Entscheidungen und Gesetzesbeschlüsse eingebunden. Einen wesentlichen Makel der so genannten repräsentativen Demokratie haben Markus Krüger und Christine Stiller in ihrem Buch „Eine kleine Geschichte der Demokratie“ deutlich gemacht. Auf diese Weise gewählte Politiker sind nämlich nicht ihren Wählern, sondern allein ihrem Gewissen verpflichtet. Mit ihren Entscheidungen können sie sich auf diese Weise also vom Wählerwillen abkoppeln. Im aktuellen System fehlen wirksame partizipative und direktdemokratische Elemente. Die Möglichkeit zur Stellungnahme zu Gesetzesentwürfen, aber auch die Eintragungswochen für Volksbegehren oder die Möglichkeit zur Abhaltung einer Volksbefragung stoßen wegen ihrer Hürden oder der mangelnden Berücksichtigung durch die „Volksvertreter“ schnell an ihre Grenzen. Es tut daher not, diese Optionen auszubauen und, wenn man das für wichtig erachtet, jene wahlwerbenden Gruppen zu stärken, die sich das auf ihre Fahnen heften.

Die fünf aktuell im Parlament vertretenen Parteien, also die ÖVP, die SPÖ, die FPÖ, die Grünen und die NEOS konnte man in den letzten Jahr(zehnt)en diesbezüglich gut beobachten. Vor allem für die Gruppe der Nichtwähler war deren demokratisches Verhalten aber oft so problematisch, dass man sich vor die Qual der Wahl gestellt fühlte – mit eben jenem Ergebnis, das Wählen lieber gleich bleiben zu lassen. Aber das ist im momentan herrschenden System keine wirkliche Option, weil man sich damit von jeglicher Mitbestimmung ausschließt.

Für den bevorstehenden Wahlgang hat jeder Wahlberechtigte nun wieder die Möglichkeit, neue Parteien dabei zu unterstützen, auf den Stimmzettel zu kommen. Seit dem 9. Juli und noch bis zum 2. August kann eine Unterstützungserklärung für eine neue wahlwerbende Gruppierung abgegeben werden. Und da stehen heuer elf Alternativen zur Auswahl, nämlich

Wer sich also schon im Vorfeld an der Erweiterung der Wahlmöglichkeiten beteiligen will, kann seine Unterstützungserklärung am jeweiligen Gemeindeamt bzw. in Wien am Magistratischen Bezirksamt im Rahmen der Amtszeiten bestätigen lassen und danach postalisch der jeweiligen Partei zukommen lassen. Der Aufwand, der damit verbunden ist, lohnt sich jedenfalls, weil er eine Möglichkeit ist, frischen Wind ins politische System zu bringen, allein dadurch, dass man damit seine Änderungswünsche ausdrückt.

Tatsächlich offenbart sich aber dabei auch eine weitere Schwäche der aktuellen Vorgangsweise bei Urnengängen. Da momentan eine Vier-Prozent-Hürde für den Einzug in den Nationalrat gilt, werden alle Gruppierungen, die beim Wahlergebnis unter dieser Messlatte liegen, vom Mitbestimmen ausgeschlossen. Im Extremfall könnten damit knapp 44 % (11 wahlwerbende Parteien zu je knapp unter 4 %) der Wähler keine Berücksichtigung finden. Eingeführt wurde diese Regelung um eine Zersplitterung des Parlaments zu verhindern und der potentiellen Unmöglichkeit einer Regierungsbildung vorzubeugen. Allerdings macht es das derzeit herrschende demokratische System zunehmend unattraktiv, was wiederum zum Nichtwählen führen kann.

Als Fazit bleibt, dass Demokratie zwar nach wie vor das beste aller politischen Konstrukte ist, diese aber tatsächlich dringend einen Wandel braucht. Im Moment bleibt uns kurzfristig nur die Chance, die aktuell gültigen Möglichkeiten zu nutzen, unseren politischen Willen auszudrücken. Mittel- bis langfristig können wir aber an einer Umgestaltung des Systems (mit)arbeiten – hin zu mehr Mitbestimmung und direkter Demokratie. So sind wir auch nach der Abgabe unserer Stimme bei Wahlen gefordert, immer wieder unsere Stimme zu erheben und sie nicht bloß jenen zu überlassen, die sich als Volksvertreter zwar ihrem Gewissen aber nicht den Wählern verpflichtet fühlen.

 

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