Wir folgen unserem eigenen Bildungsweg

alternativer Bildungsweg

FreiSein für selbstbestimmte Bildung

 

Als mein Sohn knapp nach seinem 5. Geburtstag von einem Tag auf den anderen ankündigte, dass er nun nicht mehr in den Kindergarten gehen wolle, war das für uns als Eltern ein herber Schock. Wir hatten für ihn doch immer die besten elementarpädagogischen Bildungseinrichtungen ausgesucht, von der Krippe mit bloß acht Kindern, die von drei pädagogischen Fachkräften begleitet wurden, bis zu einem stadtbekannten Montessori-Kinderhaus. Und nun das.

Auf Rückfrage nach seinen Gründen hatte er dann aber ein schlagkräftiges Argument bei der Hand, an dem wir nicht vorbeischauen konnten. „Ich möchte endlich auch das tun, was mich wirklich interessiert“, so seine uns überraschenden Worte. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, hatte ich mich doch schon über mehrere Jahre mit alternativen Bildungswegen und zuletzt verstärkt mit dem „Freilernen“, einem selbstbestimmten und aktuell in Österreich noch „illegalen“ Bildungsweg beschäftigt, sowohl beruflich in Form von Vorträgen mit dem Titel „Wie gründe ich meine eigene Schule“ als auch persönlich in meiner Sendereihe „Nie mehr Schule“, die einmal monatlich im freien Wiener Radio Orange 94.0 lief. Dabei lernte ich viele Menschen kennen, die eine neue Form von Schule ins Leben rufen wollten, die solche Projekte schon umgesetzt hatten oder die um den besten Bildungsweg für ihren Nachwuchs rangen. Ich lernte auch „Experten“ und Theoretiker, wie etwa den freischaffenden Philosophen Bertrand Stern und seinen Ansatz des „Frei-sich-Bildens“ oder die Psychologin Franziska Klinkigt, die Bildungsinstitutionen als Orte der strukturellen Gewalt definiert, kennen. Und von all diesen Bemühungen sollte mein Sohn unbeeindruckt bleiben? Er blieb es nicht – und sehr schnell war ich stolz auf ihn und seine klaren Worte, die uns auf einen ganz neuen, erfahrungsreichen gemeinsamen Bildungsweg gebracht haben.

In den vergangenen drei Jahren gab es aufgrund von Schulschließungen wegen der von Politikern getroffenen Covid-19-Maßnahmen so etwas wie einen Boom bei der Suche nach alternativen Bildungswegen. Viele dieser Initiativen sind tatsächlich rasch gescheitert, weil sie es nicht geschafft haben, einerseits die nötige Infrastruktur, andererseits die wichtige finanzielle Basis herzustellen. Außerdem wurde es den Betreffenden von den Behörden mit Hilfe von Strafandrohungen zusehends schwer gemacht, sich außerhalb des Schulsystems zu etablieren.

Was aber tun, wenn man nun wirklich einen neuen Bildungsweg für den eigenen Nachwuchs ebnen will?

Grundsätzlich kommt man in Österreich am Schulsystem nicht vorbei. Wer nicht zur Schule gehen will, darf das zwar, muss von den „Erziehungsberechtigten“ aber zum so genannten häuslichen Unterricht abgemeldet werden. Das Prozedere wurde wegen des oben angeführten Booms in Covid-Zeiten so weit verschärft, dass sich viele Eltern davon abschrecken lassen und mit ihren Kindern die neun bis zwölf Schuljahre trotz besseren Wissens oder anders gearteter Bildungsbedürfnisse ihrer Sprösslinge gemeinsam durchzustehen bereit sind. Dennoch ist das eine sogar verfassungsrechtlich garantierte Variante, die man entweder tatsächlich „zuhause“ oder mit einem Hauslehrer oder in einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht absolvieren kann. Bis zum Ende eines jeden Unterrichtsjahres (also vor Beginn der Sommerfeiern) muss dabei in Form von Externistenprüfungen eine „Gleichwertigkeitsfeststellung“ erfolgen. Nur wer diese besteht, hat die Möglichkeit, diesen Bildungsweg im nächsten Jahr weiter zu gehen. Wer scheitert, muss das Schuljahr in einer öffentlichen Schule wiederholen.

Auch die Gründung einer eigenen Schule hat ihre Ecken und Kanten, so sind vor allem bauliche und finanzielle Voraussetzungen zu erfüllen, bevor man starten kann. Da es für so genannte „freie Schulen“ (im Fachjargon des Bildungsministeriums Statutarschulen genannt) keinerlei staatliche Förderungen gibt (die sind nämlich Privatschulen von Schulerhaltern von Religionsgemeinschaften vorbehalten), ist es von Anfang an ein Abenteuer, sich auf diesen Weg einzulassen. Zudem ist man als Schule mit Öffentlichkeitsrecht, die auch berechtigt ist, Leistungsnachweise in Form von offiziell anerkannten Zeugnissen auszustellen, unter der strengen Aufsicht der jeweiligen regionalen Bildungsdirektion und muss grundsätzlich auch alle deren Vorgaben erfüllen. Damit wird man also auch ein Teil des Schulsystems, aus dem es kein legales Entrinnen gibt.

Die Gruppe jener jungen Menschen, die sich „Freilerner“ nennen (sie besuchen keine Schule und gehen auch nicht zu den jährlich vorgeschriebenen Externistenprüfungen), sind daher juristisch gesehen „illegal“ unterwegs. Sie müssen mit Verwaltungsstrafen, die seit kurzem auch mehrmals jährlich und das für beide obsorgeberechtigten Elternteile ausgesprochen werden, und dem Besuch der Jugendwohlfahrt sowie im Extremfall mit einem Entscheid des zuständigen Familiengerichts rechnen. Das kann bis zum Entzug der Obsorge in Bildungsangelegenheiten führen. Begründet wird dies mit dem Kindeswohl. Wer also seinem Kind einen dessen Wohl entsprechenden individuellen und selbstbestimmten Bildungsweg ermöglicht und es nicht mit allerlei Maßnahmen zum Schulbesuch bzw. zur Prüfung zwingt, verstößt gegen das staatlich definierte Wohl des Kindes. Das verfassungsgemäß garantierte RECHT auf Bildung ist in Österreich nur durch das Einhalten der von der öffentlichen Hand geforderten UnterrichtsPFLICHT einzulösen – nicht nur juristisch betrachtet eine Perversion.

Bei all diesen Beschränkungen, die man jungen Menschen bezüglich ihres Bildungsweges auferlegt, gehen einem bald die Ideen aus, wie man den diesbezüglichen Wünschen und Bedürfnissen des Nachwuchses dennoch gerecht werden kann. Eine Möglichkeit ist es, sich als Digital Nomad und ohne Meldeadresse mit dem Verzicht auf jegliche Sozialleistungen auf Reisen durch die Welt zu begeben. Eine andere Option ist das Auswandern in ein Land, in dem es keine Bildungspflicht gibt, sondern auch individuelle, selbstbestimmte Wege erlaubt sind. Ein Überblick dazu findet sich auf der Website des Netzwerks der Freilerner.

Für uns, meine Frau, unseren Sohn und mich, gab es nach seiner Aussage, die er als Fünfjähriger gemacht hatte, zwar immer wieder Zweifel über den nächsten Schritt und den richtigen Weg, niemals aber stand im Zweifel, dass ein Schulbesuch nur dann in Frage kommt, wenn er selbst dazu bereit ist und uns dies auch klar und deutlich zu verstehen gibt.

Spread the love