Ungehorsam und seine Wirkung

Ungehorsam

FreiSein für Selbstbestimmung und Eigenverantwortung

 

„Massen-Ungehorsam ist eine Strategie für soziale Neuerung, die mindestens so nachdrücklich wirkt wie ein Krankenwagen mit heulender Sirene.“ (Martin Luther King)

 

Innere Konflikte durch Gehorsam

Es ist uns allen bekannt, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Erkennbar dadurch, dass er schnell ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit Gleichgesinnten entwickelt. Die soziale Gruppe stärkt, sichert das Überleben. Regeln werden deshalb anerkannt und eingehalten, ein gewisses Maß an Gehorsam schützt gesellschaftliche Strukturen. Die Stärke, die durch eine Gruppe zunimmt, kann jedoch durch Gruppenzwang negativ ausarten, wenn Handlungen gefordert werden, die dem eigenen inneren Wertesystem zuwider laufen.

Unser Problem ist, dass Gehorsam zur Normalität geworden ist. Wer sich nicht unterwirft, fällt als absonderlich auf.

Stanley Milgram, dessen bekanntes Gehorsams-Experiment in den 1970er Jahren eindrücklich veranschaulichte, dass 90 % der Menschen lieber gegen ihr eigenes tiefstes Empfinden handeln statt sich autoritärem Druck zu widersetzen, erkannte, dass die Versuchspersonen nur durch Befehlsgewalt bereit waren, anderen Menschen Schmerzen zuzufügen, die bis zum Todesstoß gehen konnten. Ohne Druck sind Menschen grundsätzlich nicht gewaltbereit und empfinden Empathie. Die Teilnehmer mussten die Verantwortung für ihre Taten abgeben, um ihren eigenen inneren Konflikt ruhig zu stellen.

Milgrams Forschungen zeigten – gegen seine eigenen  inneren Werte zu handeln, macht krank. Im Buch „Nur Mut!“ wird es so beschrieben: „Steigender Blutdruck, Kopfschmerzen, alle bekannten Stress-Symptome traten auf und waren treue Begleiter des Handelns gegen empathische Impulse. Das heißt: Egal, ob du gehorsam bist oder nicht, dein Konflikt mit der Autorität ist da, und er quält dich. (…) Die gute Nachricht des Milgram-Experiments lautet: Nur die Ungehorsamen hatten eine Chance, das Experiment ausgeglichen und in sich ruhend zu verlassen. Sie haben ihr ungehorsames Verhalten als enorme Befreiung erlebt. Sie haben den inneren Konflikt gelöst.“

Unfreiwillige Freiwilligkeit

Freiheitseinschränkungen müssen „freiwillig“ geschehen. Sie müssen den Menschen schön geredet werden, um sie durchsetzen zu können. Ungehorsam lässt sich offenbar nur bedingt zügeln – trotz großer Bemühungen des gesamten staatlichen Apparates, beginnend bereits in Kindertagen, wenn wir in der Schule lernen, uns zu benehmen. Wir werden darauf trainiert, automatisch aufzustehen, wenn der Lehrer das Klassenzimmer betritt – herrlich militant und altbacken. Wir dürfen nur mit Erlaubnis sprechen. Und der Lernstoff soll um Himmels Willen nicht hinterfragt, sondern bestenfalls auswendig gelernt werden. Wiederholen, was man gesagt bekommt, ist die erfolgversprechende Devise, die Bestnoten bringt. Vom Inhalt selbst bleibt wenig hängen, aber der automatisierte Gehorsam prägt sich ein.

Doch Lob in Form von guten Noten und stolzen Eltern würde dazu oft nicht ausreichen. Kinder loten nur zu gern Grenzen aus. Auch Strafe muss sein – zusätzliche Tests am Ende des Schuljahres oder gar am Anfang, während die Ferien durch Lernen verschwendet werden, der Gefahr des Sitzenbleibens, die unangenehmen Gespräche mit Lehrern, Direktor, Eltern, in ganz unbelehrbaren Fällen sogar der Ausschluss aus der Schule.

So beginnt bereits der junge Verstand abzuwägen und sich für den Gehorsam zu „entscheiden“ – mehr oder eher weniger freiwillig.

Wir lernen ein wichtiges Tool der Gesellschaft – Selbstkontrolle. Wird diesem auch noch ein „edler Zweck“ gegeben – du würdest sonst andere stören oder gar gefährden –, dann erhält man das Lob durch gesellschaftliches Ansehen und die Strafe in Form von beispielsweise Kündigungen oder selbsternannten Verhaltenskontrolleuren, die in „Pandemie“-Zeiten wieder sehr auffällig wurden.

Wie ist es möglich, dass sich Menschen freiwillig Freiheiten nehmen lassen? Sie müssen Angst vor Bestrafung haben. Diese ist in Form von gesellschaftlichem oder beruflichem Ausschluss ebenso effektiv wie die Angst vor Krankheit oder Tod. Je mehr Angst, desto besser, um Menschenmassen zu steuern. Notfalls übertreibt oder (er-)schafft man gefährliche Situationen. Man muss die Menschen also manipulieren, um sie gefügig zu machen. Der wahrhaft Mächtige kontrolliert nicht allein das Geld, sondern die Massen. Doch eines kann er nicht – sie dazu zwingen, Angst zu haben. Das ist tatsächlich eine freiwillige Entscheidung. Der Mächtige kann also nur versuchen, sich Macht zu holen. Sie wird ihm gegeben – von vielen Freiwilligen, die sie ihm nicht überlassen, wenn sie nicht durch angstauslösende Szenarien dazu getrieben werden.

Um sich den Weg zurück zur Freiheit zu bahnen, muss zuerst die Unfreiheit erkannt werden. Solange sich die Gesellschaft dankbar und tief verbeugt, wenn sie vermeintlich zu ihrer eigenen Sicherheit eingeschränkt oder gar eingesperrt wird, kann sich nichts ändern. Mutige Menschen müssen aussprechen, was tatsächlich geschieht und vorangehen.

Rebellion neu erlernen

Ungehorsam wird nicht gern gesehen. Als Kind erkennt man schnell, dass man mit dem bedeutungsvollen Wörtchen „Nein“ auf wenig Gegenliebe bei den Erwachsenen stößt. Bei mehreren Versuchen erhält man das Prädikat „schwierig“ oder wird weniger liebevoll zum Störenfried oder gar zum Problemkind umbenannt.

Für Ungehorsam ist kaum Platz in unserer Gesellschaft, weil man dadurch „funktionierende“ Systeme durcheinander bringt. Hier kommen wir auch gleich zum großen Vorteil des Ungehorsams. Denn wer hat in der Geschichte verhärtete Strukturen aufgebrochen und neue Freiheiten erreicht? Natürlich die Querköpfe, die Ungehorsamen, die „Gesetzlosen“. All jene, die trotz massivem Gegenwind ihren Werten, ihrem Gewissen und ihrer Entdeckerlust gefolgt sind. Zu Lebzeiten jedoch waren sie oft Staatsfeinde und wurden wie Verbrecher behandelt.

Derjenige, der brav und gehorsam ist, erhält Anerkennung, opfert aber seine Lebendigkeit. Jedes Mal, wenn man gegen sein Gewissen handelt, stirbt ein kleiner Teil im Inneren des Menschen – der Teil, der in dem Moment schreit und den wir zum Schweigen verurteilen. Gesunder Ungehorsam beginnt bereits im Kleinen – etwa, wenn der Chef verlangt, dass man Kunden ein zweifelhaftes Produkt empfiehlt. Ein Nein ist nicht erwünscht und überrascht zumeist – nicht, weil es nicht nachvollziehbar wäre, sondern weil es so gut wie nie vorkommt. Die meisten Menschen bevorzugen die Untergrabung ihres eigenen Willens für das gesellschaftliche Schulterklopfen. Gehorsam wird zur Tugend „gebogen“, die Akzeptanz des freiheitentziehenden Verhaltens zur Solidarität erklärt. Diese Einstellung ist in einer Zeit sehr gefährlich, in der fast jedes Mitmachen immer tiefer in eine staatliche Abhängigkeit und damit zu einer totalitären Neuordnung der Strukturen führen kann.

„Gehorsam ist der psychologische Mechanismus, durch den individuelles Handeln an politische Zwecke gebunden wird.“ (Milgram)

Die wahre Heldentat scheint in heutigen Zeiten nicht unbedingt nur das Nein-Sagen zu sein. Nein sagen viele Menschen, in geschützter Umgebung und mit nörgelnder Zustimmung aus dem Bekanntenkreis, tun jedoch trotzdem, was von ihnen verlangt wird – die österreichische Art eben. Die Furcht vor Strafe, aber auch vor Veränderung sind die großen Bremsen. Wären sie nicht oder wenigstens geringer, würde das unzufriedene Nein nicht so oft am Stammtisch liegen bleiben, sondern in die Welt hinaus getragen werden. Viel mehr Menschen wären ein Ärgernis für die staatliche Bevormundung. Genau deshalb muss diese Furcht tüchtig gedüngt werden – durch Bedrohungen, die manches Mal zu einem apokalyptischen Drama aufgeblasen werden.

Um dem zu entgehen, muss die Menschheit den ihr wahrscheinlich angeborenen Ungehorsam neu erlernen.

„Muss der Bürger auch nur einen Augenblick, auch nur ein wenig, sein Gewissen dem Gesetzgeber überlassen? Wozu hat denn dann jeder Mensch ein Gewissen? Ich finde, wir sollten erst Menschen sein und danach Untertanen. Man sollte nicht den Respekt vor dem Gesetz pflegen, sondern vor der Gerechtigkeit. Nur eine einzige Verpflichtung bin ich berechtigt einzugehen, und das ist, jederzeit zu tun, was mir recht erscheint“, schreibt Thoreau in seinem Werk „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“. „Wir sagen gewöhnlich, die Masse der Menschen sei unreif; aber dieser Zustand bessert sich nur deshalb so langsam, weil die ›Wenigen‹ nicht wesentlich besser oder klüger sind als die ›Vielen‹. Es ist nicht so wichtig, dass die große Menge ebenso gut ist wie ihr, sondern dass es überhaupt irgendwo vollkommene Güte gibt; denn das wird die Masse mitreißen.“

Eigenverantwortung zurückerobern

Das Gefährliche am Gehorsam ist die völlige Aufgabe der Selbstverantwortung. Man betrachtet sich selbst nicht mehr als verantwortlich für seine Taten, befolgt sozusagen nur Befehle – etwa in Form von Verordnungen und Regeln, medialem oder gesellschaftlichem Druck.

Der britische Wissenschafter und Schriftsteller C. P. Snow schrieb dazu: „Wenn man sich die lange und düstere Geschichte der Menschheit ansieht, entdeckt man, dass mehr scheußliche Verbrechen im Namen des Gehorsams begangen worden sind als jemals im Namen der Rebellion.“

Die Manipulation der Massen funktioniert nur, wenn diese sich machtlos fühlt. Eigenverantwortung kann offenbar mehr Angst machen als staatliche Kontrolle. Das ist der Grund, warum viele Menschen die Wahrheit oft gar nicht sehen wollen. Doch Eigenverantwortung ist die Voraussetzung für Freiheit. Abhängigkeit ist das Gegenteil von Freiheit und solange man sich zitternd die Augen zuhält und darauf hofft, dass andere sich heldenhaft verhalten – vor allem, wenn diese überhaupt keine Helden, sondern Diktatoren sind – kann man sein Leben nicht selbstbestimmt führen.

Doch so mutig das standhafte Nein auch erscheinen mag, Freiheit erschaffen endet hier nicht, sondern beginnt erst ab diesem Punkt. Wichtig ist es, sich durch ein Netzwerk Gleichgesinnter zu stärken und alternative Wege (mit) zu bauen. Visionäre und kreative Umsetzer sind jene, die jetzt gebraucht werden, um Freiheit dauerhaft zu erreichen. Wer sich vom bisherigen Sicherheitsnetz entfernt, muss bereit sein, Eigenverantwortung zu leben. Man kann keinem Politiker, keinem Amt, nicht den mitmachenden Anderen und keinem Phantom aus der Vergangenheit die Schuld an der eigenen Misere geben. Wer nur anklagt, hängt in der geistigen Unfreiheit fest und hätte aus der physischen überhaupt nicht ausbrechen müssen. Wer gegen ein riesiges, bestehendes System täglich innerlich ankämpft, kann kaum frei genannt werden. Die eigene freie Geisteshaltung ist ebenso entscheidend wie Taten, denn diese folgen dem eigenen Glauben. Ist dieser negativ und hoffnungslos, werden auch die Handlungen nur halbherzig sein. Eigenverantwortung und Veränderung beginnen im rebellischen Kopf und im reinen Herzen.

„Doch am Ende des Tages sind es – ganz ohne Regierungsbeteiligung – die einfachen Menschen, die uns vor der Tyrannei retten können. Wir können Nein sagen zu Impfungen am Arbeitsplatz, Nein dazu, Kinder mit Zwangstests und Maskierung in die Schule zu schicken, Nein zu zensierten Social-Media-Plattformen, Nein zum Kauf von Produkten von Unternehmen, die uns kontrollieren und in den Bankrott treiben wollen. Diese Schritte zu gehen ist nicht einfach, aber mit den Folgen der Untätigkeit zu leben, wäre noch viel schwieriger. Wenn wir Zivilcourage aufbringen, können wir diese Entwicklung hin zu einem globalen Polizeistaat stoppen.“ (Robert F. Kennedy Jr.)

 

Quellen:

  • King, Martin Luther. Aufruf zum zivilen Ungehorsam; Econ Verlag, 1969
  • Milgram, Stanley. Das Milgram-Experiment – Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität; Rowohlt, 1997
  • Thoreau, Henry David. Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat; Diogenes, 1996
  • Wernicke, Jens, et al. Nur Mut! Wenn wir uns ändern, verändert das die Welt; Rubikon, 2020 / Kapitel „Nur Mut! Was wir noch heute von Stanley Milgram lernen können. Ein Aufruf zum zivilen Ungehorsam“ von Katrin McClean

 

 

 

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