Wie Meinungsbildung unbeeinflusst und tolerant gelingt

Meinungen

FreiSein mit eigener Meinung

 

Wie funktioniert freie und unbeeinflusste Meinungsbildung? Und wie schafft man es, auch andere Ansichten existieren zu lassen?

„Eine eigene Meinung ist ein Luxus, den sich nicht viele Menschen leisten.“ (Alfred Polgar, 1873 – 1955, österr. Schriftsteller)

Wir glauben immer, wir hätten uns unsere Meinungen selbst gebildet und übersehen dabei, dass wir seit dem ersten Lebenstag durch Familie und Freunde, die Gesellschaft und nicht zuletzt durch die Medien beeinflusst werden. Ein Mensch am anderen Ende der Welt hat andere Ansichten, ebenso wie jemand aus einem anderen Jahrhundert. Meinungen sind also vielfältig und wandelbar.

Die meisten Menschen legen ihre natürliche Neugier bereits in der Schule ab und fügen sich in das präsentierte System und deren Glaubensmuster – einfach, weil es alle anderen auch tun. „Das ist halt so“ ist eine beliebte, inhaltlose Rechtfertigung. Der Drang, einer Gruppe anzugehören und anerkannt zu werden, ist stärker als der rebellische Geist, der uns nur in Schwierigkeiten bringt. Wenn wir die Schule verlassen, haben wir gelernt, dass es nur eine einzige Wahrheit gibt, die uns von sogenannten Experten beigebracht wird. Von dort begeben wir uns meist direkt in die nächste Abhängigkeit einer festen Anstellung, in der wir uns auch schnell angewöhnen, zu tun, was man uns sagt. Kommen wir abends nach einem langen Arbeitstag nach Hause, an dem wir unsere Kreativität gegen Folgsamkeit eingetauscht haben, sind wir zu müde, um unseren Geist nun zu aktivieren und Gegebenheiten zu hinterfragen, die ohnehin „halt so sind“.

Der Mut, den ein Ausbruch aus diesem Hamsterrad erfordert, ist anstrengend und bedrohlich für Sicherheit und gesellschaftliche Stellung. Denn wer Unrecht erkennt und nichts dagegen unternimmt, verhält sich ehrlos, wer sich hingegen hinter Unwissenheit versteckt, gilt als unschuldig.

„Kaum hat man etwas Dummes gesagt, hört man von jemandem, der es wiederholt hat.“ (Georg Kreisler, 1922 – 2011, österr. Komponist, Dichter und Sänger)

Für die Fülle an Informationen, die wir zur Verfügung gestellt bekommen, ist nicht ausreichend Zeit vorhanden, um sie gewissenhaft zu konsumieren. So macht es in manchen Bereichen durchaus Sinn, nicht alles selbst überprüfen oder erleben zu müssen und sich auf Berichte anderer zu verlassen. Das ersetzt allerdings keine regelmäßige gedankliche Reinigung. Stattdessen informiert man sich über Informationsfetzen oder reißerische Schlagzeilen, und dieses lückenhafte „Wissen“ wird dann an andere weiter gegeben.

Die sogenannten Machthaber haben sich immer schon bemüht, ihre „Untergebenen“ so zu beeinflussen, dass sie gehorsam und „nutzbringend“ werden. Ob der Kaiser zu seinen Untertanen, der Verpächter zu seinem Pächter oder der Papst zu seinen Schäfchen. Heute geschieht das hauptsächlich über die Medien, derer sich Politiker, Werbeindustrie und sonstige meinungsbeeinflussende Berichterstatter bedienen. Jedoch müssen diese Nachrichten nicht nur verbreitet, sondern auch gesehen und aufgenommen werden. „Jede neue Erkenntnis aus der Sinnesphysiologie, der Wahrnehmungsbiologie, der Aufmerksamkeits-, Motivations- und Emotionsforschung wurde im Hinblick auf ihre Wirksamkeit und ihre Einsatzmöglichkeiten zur Verbesserung der Aufnahmebereitschaft der Empfänger für bestimmte Informationen geprüft. Und wenn sie funktionierten, wurden entsprechende Verfahren zur Verstärkung der Wirkungen von Informationen auch eingesetzt. Am wirksamsten erwies sich die emotionale Aufladung von Nachrichten, Botschaften und Hinweisen durch das Schüren von Angst.“ (Hüther: S 131)

Besonders aufmerksam sollte man also werden, wenn eine Information Angst macht. Ist sie tatsächlich wahr oder wird damit ein spezielles Ziel verfolgt, das in den Menschen Bedürfnisse wecken und sie zu bestimmten Handlungen verleiten soll?

Stattdessen werden Ansichten oft kritiklos übernommen, und man wird wütend auf all jene, die einem Unsinn und Widersprüchlichkeit der eigenen Ansichten präsentieren.
Die Suche nach der Wahrheit ist also nicht der Hauptfaktor bei der Meinungsbildung. Vielmehr geht es darum, ein bereits existierendes Weltbild aufrecht zu erhalten und dieses gegen jegliche Fakten zu verteidigen. Dazu werden abweichende Ansichten angepasst und konträre übersehen. Um aus diesem selbstgebauten geistigen Gefängnis zu entfliehen, muss man sich zuerst selbst hinterfragen. Erst, wenn man erkennt, dass man sich zu seiner Meinung regelrecht hat überreden lassen, um sich danach krampfhaft daran festzuklammern, beginnt man, aus dem Halbschlaf aufzuwachen.

„Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.“ (Evelyn Beatrice Hall, 1868 – 1956, englische Schriftstellerin)

Meinungsfreiheit besteht darin, sich möglichst unbeeinflusst zu informieren und sich an eigenen Erfahrungen und inneren Werten zu orientieren. Meinungen ungeprüft zu übernehmen, kann hingegen zu einer Gewohnheit werden, die dazu führt, dass man selbst immer weniger imstande ist, eigene Entscheidungen zu treffen. Man rutscht immer tiefer in die Falle der Fremdbestimmung und sieht das aus Gründen der Bequemlichkeit auch noch positiv.

Ein Hinterfragen der bisher kritiklos geglaubten angeblichen Tatsachen ist dabei ein guter Anfang. Am besten beschäftigt man sich gezielt mit gegensätzlichen Ansichten, die man ganz objektiv in Betracht zieht. „Wer weise ist, entnimmt jedem und allem Anhaltspunkte und Hinweise, selbst dem Wissen der Kinder, der Exzentriker und der Menschen, deren Sicht der Dinge er nicht teilt.“ (Ferguson: S 45)

Der Austausch mit Personen ist etwas, das zu unserem sozialen Wesen gehört und in früheren Zeiten unser Überleben gesichert hat. Sich anderen Meinungen zuzuwenden, erweitert unseren Blick, unser Toleranzniveau und unsere kommunikativen Fähigkeiten. Nur, wer alle Seiten kennt, kann sich tatsächlich eine eigene Meinung bilden.

„Die einzige Möglichkeit, all diese Irrwege zu vermeiden, auf die wir Menschen mit unseren zeitlebens lernfähigen Gehirnen geraten können, besteht darin, uns miteinander auszutauschen. Wir können uns gegenseitig darüber informieren, was uns hilft, nicht auf solche Irrwege zu geraten. Allerdings nicht, indem wir nach lauter Gleichgesinnten suchen, die ihre jeweiligen und leider oft genug in die Irre führenden Informationen mit uns teilen und mit denen wir uns gegenseitig in unseren Überzeugungen bestärken, sondern indem wir uns mit möglichst vielen, möglichst unterschiedlichen Menschen darüber austauschen, wie unser Leben und unser Zusammenleben gelingen können. (Hüther: S 133 + 134)

 

Quellen:
Ferguson, Marilyn. Die sanfte Revolution: Gelebte Visionen für eine menschlichere Welt; Kösel, 2007
Hüther, Gerald; Burdy, Robert. Wir informieren uns zu Tode: Ein Befreiungsversuch für verwickelte Gehirne; Herder, 2022

 

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