Die unermessliche Kraft des Frühlings

Ostern, Frühling

FreiSein für Aufbruch & Neubeginn

 

Es gab eine Zeit, da Ostern noch nicht Ostern war und damit weder das christlich-religiös gefärbte Fest der Auferstehung des Jesus Christus noch ein weiteres Fest des Konsums, mit dessen „Belohnungen“ man sich das herausfordernde Leben ein wenig schöner machen will.

Der kalendarische Frühlingsbeginn ist auf den Zeitpunkt der Tag- und Nachtgleiche festgelegt, die auf der ganzen Welt für gleiche Bedingungen sorgt, nämlich jeweils zwölf Stunden zwischen Sonnenauf- und -untergang bzw. umgekehrt. Danach geht es auf der Nordhalbkugel aufwärts mit dem Tageslicht, während im globalen Süden die Nächte immer länger werden. Dass es überhaupt einen Frühling gibt, liegt daran, dass wir uns in der so genannten gemäßigten Klimazone befinden, die vier Jahreszeiten kennt. An den nördlichen und südlichen Rändern der Welt sowie in deren Mitte rund um den Äquator herrschen nur Sommer und Winter. Aufgrund der unserer Mutter Erde Zeit ihres Bestehens innewohnenden regelmäßigen Veränderungen der klimatischen Bedingungen fransen die gemäßigten Klimazonen aus, ja sie verschieben sich sogar. Das ist nichts Ungewöhnliches wie uns die meteorologischen Erkenntnisse aus der Weltgeschichte zeigen. Da gab es ein regelmäßiges Hin und Her von Wärmephasen und Kälteperioden.

Für die Menschen früherer Jahrtausende, die ihr Leben inmitten der Natur verbrachten, waren sowohl Wetterphänomene als auch solche, die die Jahreszeiten boten, von großer Bedeutung. An ihnen orientierte sich der gesamte Lebensrhythmus, mit ihnen musste man zurechtkommen. Und so wie die Wintersonnenwende die „Wiederkehr des Lichtes“ mit sich brachte und das von den christlichen Kirchen als Fest der Geburt des Heilands und Erlösers vereinnahmt wurde, so gibt es auch zum Beginn des Frühjahrs seit jeher Rituale und Feierlichkeiten, die das Wiedererwachen der Natur in den Mittelpunkt stellen. Kein Wunder also, dass die Christen es mit dem Leben nach dem Tod in Verbindung bringen und das Erblühen der Vegetation als manifestes Zeichen für die Ewigkeit des Lebens deuten.

Aber nun zurück zum Ursprung, von dem auch wir in unserer Gegenwart eine Menge lernen können. Denn feste Punkte im Leben sind lebenswichtig, sie ermöglichen uns unser Menschsein zu reflektieren, von den Äußerlichkeiten nach innen zu wenden und jene Kraft zu schöpfen, die es braucht, um das eigene Dasein über das bloße Existieren hinaus zu gestalten. So gab es den historischen Erkenntnissen nach aus diesem Anlass in fast allen vorchristlichen Kulturen Festzeiten, die in der Regel einer übernatürlichen Macht, einer Gottheit gewidmet waren. Mit der Verehrung von Göttern trägt der Mensch jenen Ereignissen Rechnung, die er nicht selbst gemacht hat, die er selbst nicht beeinflussen kann und denen er sich selbst ausgeliefert fühlt.

So soll es eine germanische bzw. keltische Göttin der Fruchtbarkeit und des Ackerbaus gegeben haben, die den Namen Ostara trug. Von dieser Bezeichnung leitet sich auch der Name für das christliche Osterfest ab, auch die Bezeichnung für die Himmelsrichtung Osten ist ihr geschuldet. Man vermutet auch einen Zusammenhang mit der römischen Göttin der Morgenröte, Aurora. Und wir Österreicher sind auch ganz speziell mit dieser Bezeichnung verbunden, gibt doch die ursprüngliche Bezeichnung Ostarrichi einen nicht zu verleugnenden Hinweis darauf. Während im englischen Austria wenig davon übrig ist, kommt die finnische Bezeichnung für unsere Heimat, die Itävalta (zu deutsch Ostreich) lautet, diesem Zusammenhang wieder sehr nahe. Es gibt auch zahlreiche schlüssige Kritiken am Zusammenhang des Festnamens mit Ostara, aber das ist eine eher akademische Diskussion, die der Bedeutung dieses Frühjahrsfestes für uns Menschen nichts von seiner Kraft nehmen sollte.

Welche Kraft also steckt in diesen Tagen des Frühlingsbeginns bzw. des ersten Vollmonds im Frühling?
Wenn wir uns an der Natur und dem Elan der von diesem Zeitpunkt an stattfindenden Ereignisse orientieren, dann ergibt sich eine logische Schlussfolgerung: Es geht um nichts anderes als Aufbruch und Neubeginn. Und was gibt es Schöneres, Belebenderes? Hermann Hesse huldigt diesen Zeiten in seinem Gedicht „Stufen“ u.a. mit den Worten: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“ Oder wie es Marlis Bader in ihrem Buch „Räuchern mit heimischen Kräutern“ sagt: „Das Samenkorn in uns, das wir zu Allerseelen in uns erträumt haben, zum Julfest (Weihnachten) geboren und zu Lichtmess (2. Februar)
begrüßt haben, fängt jetzt an, aus dem dunklen Grund unserer Seele zu sprießen und in die Welt hinein sichtbar zu werden.“

Ostern ist demnach ein in den Jahreskreis eingebettetes Fest, das in der Dynamik des ewigen Kreislaufs von Werden und Vergehen uns den Weg zu Wachstum und Lebensfreude zeigen will. Selbst wenn wir uns nicht bereits von Allerseelen weg Gedanken dazu gemacht haben, können wir diese Tage dazu nutzen, uns (neu) zu orientieren. Wie der Winterspeck so darf auch so manches in unserem Leben, was bislang durchaus sinnvoll war, losgelassen werden und gehen, um Raum für Neues, Lebendigeres zu schaffen. Um diese inneren Prozesse zu begleiten, spielen Wasser und Feuer eine entscheidende Rolle. Auch das Räuchern mit reinigenden Räucherpflanzen wie Alant, Engelwurz, Thymian, Copal und Lavendel sowie segnendem Räucherwerk (u.a. Copal, Myrrhe, Rose oder Weihrauch) dient diesem Zweck. Diese Elemente haben auch die christlichen Kirchen für sich beansprucht, Osterfeuer, Weihrauch und Weihwasser zeigen dort ihre Wirkung. Was dort im Großen Verwendung findet, können wir auch im Kleinen, ganz für uns persönlich nutzen.

Einfache Möglichkeiten dazu sind das Verbrennen von Altem, Verbrauchtem in Form von dem Feuer übergebenen Zetteln, auf denen ebendas notiert wurde, was man loslassen bzw. loswerden möchte, und das meditative Erträumen des Neuen, dass dann ebenfalls notiert oder gezeichnet und mit Räucherwerk gesegnet wird. Auch eine selbst gestaltete Collage aus Bildern, die die eigene Zukunft darstellen und die wir uns von da an tagtäglich vor Augen halten, in dem wir sie prominent an unserem Arbeitsplatz oder in unserer Wohnung aufhängen, tut ihre Wirkung.

Und noch eines bewirkt diese Beschäftigung mit sich selbst: Wer auf diese Weise mit sich ins Reine und damit zu innerem Frieden kommt, kann auch am Frieden mitwirken, den die große weite Welt so dringend braucht.

Der Rituale gibt es also viele, natürlich noch viel mehr als in den hier beschriebenen Anregungen. Eines ist ihnen aber allesamt gemeinsam: Sie zeigen uns die Notwendigkeit und den belebenden Effekt des Loslassens und Neubeginnens. Und darum geht es ganz besonders an diesen ersten Frühlingstagen und zu Ostern.

 

Spread the love